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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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Händen schob er eine Fahrradkutsche, und sein silbrig grauer Flusenspitzbart hing bis auf den Boden. Er war unendlich klug, und in seinen Adduktoren leuchtete die Weisheit eines Drei-Milliarden-Volkes. Schnell war das Gepäck im Zwischenraum verstaut. Mei Li und Su fläzten sich nach hinten, und ich »durfte« lostrampeln. Trampeltrampel, trampeltrampel, vorbei an Palmen, Antilopen und Chinesen. Nach zwei Stunden hörte unsere Reise immer noch nicht auf, und gerade als ich fragen wollte, ob wir mal tauschen könnten, kreuzte eine blöde Hundsau meine Spur! So eine typisch scheißige Chinesentöle, wie sie, angehende Chinalogen aufgepasst, außerhalb der Dritten Pekinger Ringstraße gestattet sind und also nicht von Pekingern gefangen und gekocht werden. Ich stolperte und stürzte in ein tiefes Bauloch. Aus reinem »Zufall« war es natürlich genau da gewesen, wo ich hinfallen wollte, grrr … Als ich unten ankam, wurde ich ohnmächtig.
    Das Aufwachen geschah in einem großen kahlen Raum mit Zahnarztstühlen. Mei Li und Onkel Su standen am Fenster, wandten mir den Rücken zu und zwitscherten. Sie waren unverletzt. Lächelnd betrachtete ich Mei Li, denn während meiner Ohnmacht hatte ich mich total in sie verliebt. Ein bernsteingelbes Abendlicht fiel auf ihr schwarzes Haar, und ihr Karategürtel hing ein bisschen schief, sodass ich fast alles sehen konnte. Leider blutete ich aus dem Kopf; mein Kiefer war beim Sturz dreimal gespalten worden, in Fontänen und Geysiren schoss der Eiter durch das Fenster auf Passanten, ich wurde immer dünner. Im letzten Augenblick kam dann ein Arzt getrippelt. Kompetenz und Freundlichkeit waren seinem Antlitz eingemeißelt, seine Füße steckten in flauschroten Buddhapuschen, und er sagte:
    »Du ganz luhig. Wil das kliegen wiedel hin. Plan ist: Wil schicken zweitausend Volt in dich, und dann mal gucken.«
    Zweitausend Volt? Hatte ich lichtig gehölt? Nachdenklich senkte ich die Lider. Andererseits zwirbelte mein Kiefer wie ein Mückenstich. Aber wie der Kinese so ist – il dottore hatte nur Spaß gemacht! Stirnrunzelnd starrte er dann nämlich eine Weile auf mein Röntgenbild, schüttelte sich vor Ekel und schob mich schnell in das Behandlungszimmer. Etwa vierzig Rotchinesen waren hier auf Zahnarztstühlen festgeschnallt; einige sangen Songs über den Gelben Fluss oder warfen sich Zitate aus der Langer-Marsch-Epoche zu. Die anderen konnten nicht mehr sprechen. An beiden Zahnreihen trugen sie Stahlschienen, die durch Gummibänder felsenfest verbunden waren. Mundöffnen war unmöglich, die Genossen sahen scheiße aus, und so was sollte ich auch kriegen.
    Der Arzt legte sich auf mich und drückte mir die Kehle ab. Ich bekam keine Luft mehr. »Möchten Sie noch ilgendetwas legeln?«, knurrte dieser Misthaufen von einer kommunistischen Arschpflaume, »Sie welden ungefähl dlei Wochen nicht splechen können.«
    Ich dachte nach, aber mir fiel nichts ein. Plötzlich kam Mei Li herangeschwebt, schmiegte ihre Arme um mich und sagte: »Hong she wau laotse mango deng xiau pong«, das bedeutet »Wie«, und fuhr fort: »geht’s?«
    »Miserabel, meine Geisha. Gleich kann ich nicht mehr sprechen. Dabei wollte ich dir noch so viel sagen. Zum Beispiel habe ich mich im Traum …« – schon aber riss mich dieser Rattenfott von einem marxo-asiatischen Brutalometzger weg, holte Bohrer, Schleifer, Spaten und grub sie tief in meinen Kiefer. Als ich schrie, piercete er mir dreißig Stäbchen in die Ohren. »Keine Fulcht! Ist Akupunktul! Macht Schmelzen weg!«
    Es half tatsächlich. Ich spürte nicht, wie dieser angesehene Parteifunktionär meine Kieferknochen neu verteilte und zusammennähte. Außerdem hielt Mei Li die ganze Zeit meine Hand, Onkel Su ging zwischendurch oft eine rauchen. Nach drei Stunden war der Volksdentist zufrieden, wischte sich mit einer roten Fahne das Blut von den Händen und schaltete den Fernseher an – Peking-Oper.
    »Willst du bei uns wohnen?«, fragte Mei Li und streichelte die Eisenstangen, die meinen Mund in Form hielten. »Ich werde dich pflegen. Schließlich bist du durch unsere Schuld in diese Grube geplumpst.« Ich nickte mit dem Kopf, mehr ging ja nicht. Da gab Mei Li mir einen Kuss.
    Seit zwei Wochen wohne ich nun bei Onkel Su, seiner Frau Su Si(!) und ihrer Nichte. Wir sind ein Paar geworden, und täusche ich mich nicht, ist auch was Gelbes unterwegs. Ob ich in Kina bleibe? Vielleicht. Es sind ja alle so gut zu mir. Sie kochen Suppe, pressen Säfte aus frischem Reis

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