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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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psychophysischen Zentralinstanz einer zum industriellen Rohstofflager degradierten Erde, ja Welt. Thunfisch in Essig, Lammgeschnetzeltes auf Toast, »Gehacktes«: Welch schlimmste Ungeheuerlichkeiten halten unsere Speisenkarten bereit! Ist, lieber Freund, Barbarischeres denkbar? Freundlichkeit, die erste Stufe auf der Treppe des achtfältigen Pfades: Was bedeutet sie dem Westen anderes als das Grinsen alpträumender Schlächter vorm stiernackigen Kunden? Weißt du, woher unser Wort »Metzger« stammt? Shan Ti Pada sagte es mir: vom lateinischen matiarius, das bedeutet: jemand, der mit Därmen handelt.
    Grobe Leberwurst im Golddarm, hm, aah!
    Ja, igitt, nicht wahr? Kennte ein Buddhist Schadenfreude, er würde sich wünschen, dass solche Karma-Verbrechen zur Wiedergeburt aller Darmhändler als Mastschweine führten. Und umgekehrt aller Mastschweine als Metzger. Aber Buddhist sein heißt, derlei Regungen mit Achtsamkeit zu begegnen. Katherine weint. Ich wünsche deinem Herzen Sonne –
    Aloha, Hubert
    Nach Lektüre dieser Zeilen wünschte ich mir die ebenfalls. Aber was Hubert anbelangt, will sich mein Herz bis heute nicht mehr recht erhellen. Abgesehen von seinem eingangs zitierten letzten und ja deutlich schmerzlichsten Brief erreichte mich noch ein weiteres Zeugnis seiner Verwandlung und Verwirrung: etwa fünf Wochen vor seiner überraschenden Heimkehr Anfang November. Auf der Rückseite einer DIN -A4-großen Fotografie, die das farbenprächtige Moos des Lorbeerwaldes zeigte, war zu lesen:
    Mein Freund, es ist kurz vor Abend. Ein feiner Regen weht auf sich wiegende Bananenstauden, auf den vulkanisch schwarzen Sand der Strände, aufs bewegte Meer. Ich verspüre ein leichtes Magendrücken. Heute morgen sind Shan Ti Pada, Ann und Katherine zur Nachbarinsel El Hierro aufgebrochen, sie werden dort eine lange, intensive Meditation machen nach den Regeln der frühbuddhistischen Vinaya-Lehre und wollen darum gern unter sich sein. Ich bin traurig, seitdem sie weg sind. Zugang zu anderen Menschen, zu – verzeih’ das Wort – gewöhnlichen Touristen finde ich nur schwerlich. Und doch ist meine Trauer, wenn auch verständlich, Zeichen falschen Denkens und Fühlens, Folge der großen Macht der viparyasa, der Drei Verkehrten Auffassungen: Sie lassen uns Beständigkeit suchen in dem, was seiner inneren Natur nach unbeständig ist; samsara (Leiden) in dem, was untrennbar war vom Wohlbefinden, und persönliche Bedeutung in dem, was an kein Selbst geknüpft ist. Kannst du mir Geld schicken? Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Meine Adresse hast du ja.
    In Liebe: Hubert
    Tja, so war das. Ich schickte ihm dann wirklich ein wenig Geld, kurz bevor der letzte Brief eintrudelte, bekam aber bei Huberts Ankunft fast alles gleich wieder zurück: Das mit den Walderdbeeren und dem Regenwasser schien also nicht nur dahingeschrieben. Ehrlich gesagt stank mir Hubert ein bisschen das Auto voll, als ich ihn vom Flughafen nach Hause kutschierte. Es wurde eine stille, nirwanische Fahrt. Unser Kontakt ist unterbrochen. Abgebrochen? Man wird sehen.
    Eine Kleinigkeit dieser dann unmittelbar nach seiner Rückkehr erschienenen Tauschanzeige will mir freilich nicht recht in den Kopf: »Käseglocke«? Auch Ameisen wollen doch leben.

AUS DEM NOTIZBLOCK XIV
    Zum Glück
    Spaß macht es nicht, wenn man nachts von grasblöden Streifenbullen angehalten wird, feisten Youngstern mit stinkenden Schnäuzern und ungewaschener Dienstkleidung, die die Blutspuren eines ganzen Jahres versammelt; Spaß, sage ich, macht es nicht zu erfahren, dass der Wagen als gestohlen gemeldet ist, der eigene Führerschein samt Personalausweis sich aus heitrem Himmel als Fälschung entpuppt und, kaum hat so ein gewaltbereiter Esel den Kofferraum geöffnet, er mit zischendem »Ogottogott« zurückschreckt und sich auf offener Szene erbricht, worauf seine nicht minder entmenschten Kollegen zwei Tote aus dem Kofferraum heben: der eine sichtlich Helmut Markwort, die andere schon teils verwest, jedoch im Ganzen sehr an Claudia Roth gemahnend. Zum Glück ist mir so etwas noch nie passiert.
    Lies die Wörter von hinten: neue Palindrome
    Regenneger; Apoopa; Anna; Ara; Abba; Elle; Tat; tut; tot, töt; rar; Bob; Bab; wow; Nivea; Erwin; Onko; Mama; Papa; Kaka; Napaj; Nilreb; Einstein niest nie; tfahcstoB ehcsinakiremA
    Notiz eines Windelweichen
    Wenn auch allahnahe Gelehrte inzwischen herausfanden, dass jener schreckliche indonesische Tsunami Folge eines unterseeischen Atombombentests

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