Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
Vom Netzwerk:
glasklar Stoiber, Edmund Stoiber, the one and only Kanzlerkandidat of the Union. Um sechs Uhr früh nahm er den Bus zur Fähre.

TEESPOONWALK IN SOEST
    Der 5. Juli ist ein großer Tag für das im Schatten Dortmunds ächzende Städtchen »mit Herz«. Hier ringen Wertheim, die Boutiquengasse mit Tchibo als Anlauf, das Jugendbistro »Automaten-Treff«, Menke Landwirtschaftsbedarf, Udo’s Lottobude und Lack & Fetisch Pillermann um die teils urban illustre, im Ganzen aber supersture Urbevölkerung – »um jeden Meter kämpfen, um jeden Kunden streiten«, so heißt hier die Devise!
    Doch heute ist alles vergessen. Cordt-Urs von Thedel, Managertrainer und laut Westfalenstimme »Deutschlands erfolgreichster Motivationsguru«, lädt für fünfzehn Uhr zum »1. Soester Synergetic Action Power Day« ins buttergelb geflieste Heinrich-Böll-Gemeindezentrum. Dreißigtausend Flyer hat der millionenschwere Youngster in der Stadt, den umliegenden Dörfern und Höfen verteilen lassen, und der von SPD und Grünen dominierte Stadtrat vertagte kurzerhand eine für den Nachmittag des 5. Juli anberaumte Haushaltssitzung, schaufelte sich auch den Abend frei und meldete sich geschlossen bei dem sagenhaften Stimmungsmacher an. Man hätte es sich denken können.
    Denn angekündigt ist ein »magmaheißes Kombi-Pack« aus von Thedels legendären Seminaren »Okay, you are the king!«, »Attacke Mental Power« und »Oma ist die Beste? Nein, du!«. Als Action-Highlights fest versprochen: Löffelverbiegen durch die Kraft der Gedanken, barfüßiges Springen auf Glasscherben sowie mit nackten Füßen über heiße Kohlen laufen. Zudem geht das Gerücht, der Guru habe auch schon mal waschechte Vogelspinnen im Gepäck, die er Sekretärinnen auf die Augen setzt, damit sie ihre Angst vorm Chef verlieren – die neue Holzhammer-methode in puncto Selbstbewusstsein.
    Eine Region ist gespannt wie ein Flitzebogen.
    Kurz vor fünfzehn Uhr dann allerdings die erste Hürde: Die Tür des Gemeindezentrums ist verrammelt, Fenster, Türen und sogar der Nebeneingang zu und schottendicht, und keine Spur vom Hausmeister! Etwa sechzig führende Vertreter aus Handel, Politik, Bauern- und Beamtenschaft stehen ratlos auf dem Zentrumsvorhof, gucken in die Sonne, stecken Namensschildchen fest und rollen sich die Ärmel ihrer bunten Freizeithemden hoch und wieder runter – na, das fängt ja gut an. Plötzlich aber donnert eine fliederfarbene Luxuslimousine quietschend um die Ecke.
    »Tschaballaka! Hubba tschaballaka!«
    »Hä? Wie?« Wilfried Ölms, Erbe von Tapeten Ölms und geheimer Chef der Soester Industrie- und Handelskammer, bricht literweise Schweiß aus. Ein junger Mann mit weißem Hemd, blauer Weste und khakigrünem Schlips stürzt aus der Limousine, kommt schnurgrad auf ihn zugesprintet und hämmert ihm mit beiden Fäusten auf das linke Schlüsselbein. »Tschaballaka! Glauben Sie an sich, yahoo! Brust raus, herrgottnochmal! Große Ziele – großer Erfolg! Aber warum stehen Sie eigentlich hier draußen rum?«
    Für verschämtes Schweigen bleibt keine Zeit. Der Erfolgstrainer hechtet zum BMW zurück, stopft sich unterwegs zwei ölig schwarze Ponystränen hinters Ohr und zerrt drei Assistenten aus dem Auto. »Loslos, die Viecher alle in die Kiste, und vergesst die Anzünder nicht – um fünf will ich hier wieder weg. Wir beginnen mit ›Okay, you are the king!‹. Okay?«
    »Okay!«
    Ein kleines Wunder: Kaum sind die Requisiten aus dem Kofferraum gehoben, erfüllt ein fröhliches Flöten den Himmel: Hurra, der Hausmeister kommt angeradelt! Eiernd umkurvt er das den Vorhof schmückende Zement-Ei zum Gedenken an die Opfer des Faschismus, pfeffert eine halbgerauchte Zigarette auf den Boden, steigt ab und ruckelt verlegen an seinem lackverschmierten Blaumann.
    »Sorry, musste noch mal weg. Der Unterhalter schon da?«
    Arbeiter eben.
    Eine Viertelstunde später sitzt das gehobene Soest im teakfurnierten Zentrumssaal, hat die siebenhundert Euro Gebühren zzgl. neunzig für Schnittchen an der Kasse abgedrückt und lauscht ein wenig ängstlich dem Gezeter und Gepolter backstage. Wunderliche Schreie dringen da heraus:
    »Jeder Mensch ist dazu bestimmt, erfolgreich zu sein!«
    »Die Cobra knabbert wieder an den Blutegeln!«
    »Achtung, sie ist unter dem Kühlschrank!«
    »Du kannst alles, alle sind Gewinner!«
    »Mach halt endlich die bekloppte Kiste zu!«
    Da öffnet sich der Vorhang. Die nervenkranke Bürgermeistergattin schafft es gerade noch, sich aus der ersten Reihe

Weitere Kostenlose Bücher