Blaubeertage (German Edition)
Brust gekippt.
»Was ist?«
Ich mache die Augen auf und sehe, wie Xander mich anstarrt. »Nichts.«
»Sieht aber anders aus. Du bist heute irgendwie nicht in Form.«
»Welche Form soll das sein?«
»Die, in der du jede Gelegenheit nutzt, um dich über mich lustig zu machen.« Er betrachtet seine Hand. »Es hätte eine Million Witze gegeben, die du hättest machen können.« Er zeigt mir wieder seine Blase.
»Ich weiß. Ich hätte mich lieber über deine zarten Händchen auslassen sollen, die keine Arbeit gewohnt sind.«
»Genau.« Er wischt ein bisschen Erde aus meinem Gesicht. »Also, was ist los? Was hast du?«
»Manchmal fühle ich mich einfach nur älter, als ich bin, das ist alles.«
»Ich mich auch. Aber deshalb machen wir das hier doch, oder? Um Spaß zu haben. Um aufzuhören, uns darüber Sorgen zu machen, was von uns erwartet wird, und um herauszufinden, was wir selbst wollen.«
Ich nicke.
»Mein Dad würde tot umfallen, wenn er mich hier sehen würde.«
»Dann hätten wir ihn mal einladen sollen, oder?«
Er lacht. »Hier würde er sich nicht einmal tot blicken lassen.«
»Tja, genau das wird sich ja wohl kaum vermeiden lassen.«
Er lacht wieder. »Du bist … so anders, Caymen.«
»Anders als was?«
»Als jedes andere Mädchen, das ich kennengelernt habe.«
Wenn man bedenkt, dass die meisten Mädchen, die er kennengelernt hat, wahrscheinlich unfassbar viel mehr Geld haben als ich, ist das keine besondere Leistung. Bei dem Gedanken fangen meine Augen an zu brennen.
»Es ist … erfrischend. Du gibst mir das Gefühl, normal zu sein.«
»Hm. Da hab ich aber noch gewaltig zu tun, denn von normal bist du weit entfernt.«
Er lächelt und stupst mich spielerisch an der Schulter an. Mein Herz schlägt gegen die Rippen.
»Caymen.«
Ich nehme mir noch eine Handvoll Erde, pfeffere sie ihm in den Nacken und versuche dann, so schnell wie möglich abzuhauen. Doch er schnappt mich und ich sehe seine Hand voller Erde auf mein Gesicht zukommen, als das Piepsen des Traktors laut wird, der sich von hinten nähert.
»Gerettet – von Totengräbern«, sagt er.
17.
X ander springt auf und hilft mir auf die Beine. Wir werfen unsere Spaten aus dem Loch, dann stützt er mich beim Hinausklettern und hievt sich selbst nach oben.
Als wir zurück zum Beerdigungsinstitut gehen – die Spaten auf Xanders Schulter –, sagt er: »Und hier wohnt also deine Freundin?«
Ich nicke.
Er lacht. »Du wohnst über einem Porzellan-Puppenladen, deine beste Freundin wohnt auf einem Friedhof. Du bist mehr oder weniger zwischen Gruselobjekten aufgewachsen, gibt es überhaupt noch irgendetwas, wovor du Angst hast?«
Vor dir.
Unsere Blicke treffen sich, fast, als hätte er meine Gedanken gelesen. Vielleicht stehen mir meine Gedanken auch ins Gesicht geschrieben.
Ich räuspere mich. »Hunde.«
»Bist du schon einmal von einem Hund gebissen worden?«
»Nein. Aber der Gedanke, von einem gebissen zu werden, reicht schon.«
»Interessant.«
»Ach bitte. Fang jetzt nicht an, das zu analysieren. Hunde haben scharfe Zähne. Menschen werden von ihnen gebissen.«
Er lacht.
»Was ist mit dir? Wovor hast du am meisten Angst?«
Er dreht einen der Spaten auf seiner Schulter und denkt nach. Entweder will er es mir nicht verraten oder er kennt keine Angst, denn es dauert eine Weile, bis er sagt: »Verlieren. Versagen.«
»Wobei versagen?«
»Bei allem. Manchmal fällt es mir schwer, mit irgendetwas anzufangen. Ich versuche es lieber gar nicht, aus Angst zu versagen.«
»Aber wenn du nichts riskierst, wirst du nirgendwohin kommen.«
»Das weiß ich. Und trotzdem …«
Wir sind am Hintereingang des Beerdigungsinstituts angekommen. Unsere Spaten lehnt er an die Wand. Ich schüttele meine Haare aus und er macht dasselbe. Dann dreht er mich um und klopft mir den Rücken ab.
»Und trotzdem, was?«, hake ich nach.
»Und trotzdem kann ich mich nicht überwinden.« Er lässt seine Hand auf meinem Rücken liegen und ich schließe die Augen.
»Vielleicht solltest du mal absichtlich versagen. Richtig auf die Nase fallen. Dann fürchtest du dich nicht mehr davor.«
»Soll ich die Hunde jetzt holen oder lieber später …?«
»Okay, okay, kapiert.« Er hat recht. Ich kann nicht von ihm verlangen, sich seinen Ängsten zu stellen, wenn ich mich nicht mit meinen auseinandersetze. Und damit meine ich nicht meine Angst vor Hunden.
»Hast du eigentlich bloß Angst vor großen Hunden oder sind kleine für dich auch ein Problem?«
»Du hast
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