Blaubeertage (German Edition)
Hunde, oder? Die Sorte, die man in der Handtasche mit sich herumschleppt?«
»Nein«, sagt er verächtlich, »selbstverständlich habe ich die nicht.«
»Die Größe ist egal. Tatsächlich finde ich die kleinen manchmal schlimmer. Die beißen einem locker den Finger ab.«
»Und das von einem Mädchen, das noch nie gebissen wurde.«
»Der Gedanke, Xander, es ist der Gedanke.«
Er grinst und klopft mir dann auf die Schulter, um zu signalisieren, dass mein Rücken jetzt frei von Erde ist. »Bist du so weit? Können wir?«
»Ja. Nein, warte. Lass mich eben erst ganz schnell deine Hand versorgen. Mr Lockwood hat drinnen Verbandsmaterial.« Ich klopfe an die Tür und öffne sie dann einen Spalt. »Mr. Lockwood?« Ich trete ein. »Komm mit. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es hier irgendwo einen Erste-Hilfe-Kasten.«
Wir gehen einen langen Flur hinunter und ich öffne die letzte Tür auf der rechten Seite. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, als Mr Lockwood von einer Leiche aufschaut, die vor ihm ausgestreckt auf einem Tisch liegt. »Oh, tut mir leid«, sage ich. Der Tote hat einen langen Schnitt auf seiner Brust, der mit großen Heftklammern zusammengehalten wird. Offensichtlich wurde er seziert. Sein Gesicht ist eingesunken, er muss mehrere Tage im Leichenschauhaus gelegen haben.
»Kein Problem, kommt rein.«
Im Raum ist es kalt. Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. »Ich brauch bloß ein paar Sachen aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Ein bisschen Verbandsmull und ein Desinfektionsmittel vielleicht.«
Er zeigt auf ein kleines Badezimmer nebenan. »Da drinnen.« Mr Lockwood trägt eine Art Make-up auf das Gesicht des Toten auf.
Es fällt schwer, den Geruch zu ignorieren, der im Zimmer hängt. Er ist nicht wirklich abstoßend, es riecht eher nach etwas, das konserviert wird. »Wird er offen aufgebahrt?«
»Ja. Morgen.« Ein großes Foto klebt neben Mr Lockwood an der Wand und er vergleicht immer wieder die Leiche mit dem Bild des Lebenden.
»Mit dem haben Sie aber noch ein bisschen zu tun«, sage ich.
»Wir kommen voran.« Er hält mir einen Pinsel hin. »Möchtest du Rouge auftragen?«
»Xander, wie wär’s? Eine andere Seite des Berufs lernen?« Ich drehe mich um, aber er steht schockgefroren im Türrahmen und starrt mit entsetztem Gesicht auf die Leiche. Sein Gesicht sieht fast genauso blass aus. »Vielleicht lieber nicht.«
Ich stelle mich vor ihn und es dauert eine Weile, bis er mich anschaut.
»Alles klar bei dir?«, frage ich.
»Ich hab nur nicht damit gerechnet. Mir geht’s gut.«
»Sicher?«
»Ja.«
»Okay, komm mit.« Ich lotse ihn ins Badezimmer und schließe die Tür, in der Hoffnung, dass es hilft, wenn die Leiche außer Sichtweite ist. Ich halte Xanders Hand unter den laufenden Wasserhahn und wasche sie vorsichtig mit Seife ab. Sein Blick wandert immer wieder zur Tür. »Bleib, wo du bist«, sage ich und suche in den Badezimmerschränken nach dem Erste-Hilfe-Kasten. Ich finde ihn und stelle ihn neben das Waschbecken. Xander dreht den Wasserhahn und trocknet seine Hand ab.
Ich drehe den Deckel des Desinfektionsmittels auf, nehme mir dann wieder seine Hand und betupfe seine offene Wunde. »Tut das weh?«
»Geht schon.«
Sein Atem streift meine Wange, als er antwortet, und mir wird bewusst, wie dicht wir beieinanderstehen. Ich verbinde seine Hand mit Mull und schaue auf. »Hier, so gut wie neu.«
Seine Gesichtsfarbe hat einen ungesunden Grauton angenommen. »Danke«, murmelt er und rennt an mir vorbei zur Tür hinaus.
Ich bedanke mich bei Mr Lockwood und gehe hinterher. Als ich rauskomme, stützt sich Xander mit einer Hand an der Mauer ab und spuckt in die Büsche. Von der Blase bis zum Kotzen – mein Berufsinformationstag ist eine absolute Katastrophe.
»Es tut mir leid.« Ich trete an seine Seite und streichele seine Schulter. Meine Mom macht das immer, wenn ich mich übergeben muss. Es hilft nicht besonders, aber es tut gut zu wissen, dass sie da ist.
»Mir geht’s gut. Was verdient man in Sachen Demütigung wohl so? Nur, weil ich mich offenbar so super dafür eigne.«
»Du hast noch nie eine Leiche gesehen, hm?«
»Nein …« Er wischt sich den Mund am Ärmel seines Sweatshirts ab und richtet sich auf.
»Notiz für die Zukunft: Xander hat einen empfindlichen Magen. Halt dich von Berufen fern, die mit irgendetwas Ekeligem zu tun haben.«
Beim Auto angekommen, reißt er das Sweatshirt runter, wobei das Hemd darunter ein bisschen hochrutscht, und streift seine Schuhe ab.
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