Blaue Wunder
fortsetzen will, trifft mich der Schlag. Martin und Astrid haben das Haus verlassen! Ich erhasche gerade noch einen Blick auf die beiden, wie sie Hand in
Hand durch den Regen über die Straße rennen und in den kleinen blauen Wagen steigen, den ich doch eigentlich im Auge behalten wollte. Verdammt, verdammt, verdammt, jetzt habe ich Astrid nur von hinten gesehen! Dass sie den Namen Stumpi zu Recht trägt, konnte ich immerhin erkennen. Pffh, die ist nicht größer als ein Korken. Ich hingegen habe eine ordentliche Durchschnittsgröße zu bieten.
Auf dem Nachhauseweg schäme ich mich ungeheuer. Wie konnte ich nur zulassen, dass mich mein Liebeskummer zu derart niedrigem Verhalten verleitet? Spioniere unter einem roten Schirm meinem Exfreund hinterher und versuche mir auch noch allen Ernstes einzureden, ich ginge ja bloß spazieren. Mann, so peinlich können sich wirklich nur frisch Verlassene benehmen. Ich nehme mir vor, nie wieder etwas Vergleichbares zu tun. Und frage mich in der nächsten Sekunde, ob es nicht sinnvoll wäre, so gegen zweiundzwanzig Uhr nochmal vorbeizuschlendern, bloß um kurz nachzuschauen, ob bei Martin Licht brennt.
«Vielleicht sollte ich ihn anrufen? Einfach, um nochmal mit ihm zu reden? Was meint ihr: Habe ich nicht viel zu früh aufgegeben?»
Nachdem ich es gewagt habe, diesen Satz auszusprechen, brüllen alle gleichzeitig los.
«Das ist das Verkehrteste, was du jetzt tun kannst!»
«Bist du wahnsinnig? Du musst kämpfen, nicht angekrochen kommen!»
«Trink noch einen Schluck und ruf ihn jetzt gleich an!»
«Vergiss den Typen!»
Ich lasse die Schultern hängen und esse noch einen Happen Tiramisu. Jörg schenkt mir Wein nach, und Karsten drückt hektisch auf die Fernbedienung, weil er fürchtet, das nächste Lied auf der CD sei zu melancholisch für eine Frau in meiner Stimmungslage. Ich bin ziemlich gerührt. Wäre meine Gesamtsituation nicht so unerfreulich, wär der Abend ganz prima. Erdals Gäste sind ausgesucht nett zu mir, man hat mir das letzte Stück Tiramisu überlassen, obschon ich bereits zwei hatte, und alle machen sich Gedanken über mein Schicksal und wie man es eventuell doch noch zum Guten wenden könnte.
Ich hatte das Wochenende heulend im Bett, heulend vor dem Fernseher und heulend in der Badewanne verbracht. Dazu hatte ich nur Ungesundes gegessen und drei- bis sechsmal am Tag Erdal gegenüber behauptet, etwas Bewegung zu brauchen. Um dann jedes Mal Martins Wohnung auszukundschaften. Meine Arbeit im Reisebüro verrichtete ich mürrisch und wie in Trance und hinterließ so, ganz ohne Absicht, bei meinem neuen Chef offensichtlich einen guten Eindruck: «Sie machen nicht zu viele Worte. Das gefällt mir. Ich mag ernsthafte Frauen.»
Ich nickte ernsthaft und wunderte mich ernsthaft, wie man mich so falsch einschätzen konnte, und fragte mich ernsthaft, ob dieser Mann mir gefallen könnte, wenn ich bereits offen wäre für eine neue Beziehung. Ich denke schon. Herr Krüger, ich kenne nicht mal seinen Vornamen, ist wohl das, was man vornehm und gut situiert nennt. Er mag so Ende vierzig sein, mit angegrauten Schläfen, die in mir sofort den Beschützt-werden-wollen-Instinkt wecken. Er schaut nur noch ab und zu im Reisebüro vorbei und hat die Leitung bedauerlicherweise einer gewissen Heike Plöger übertragen, deren Abneigung gegen mich auf Gegenseitigkeit beruht.
Herr Krüger hat neuerdings irgendwas mit Schiffen zu tun, und ich hatte erstaunt bemerkt, dass sich meine Laune bei seinem Anblick ein wenig gebessert hat, und das will was heißen in meinem emotionalen Katastrophenzustand.
Einem jungen Paar hatte ich missmutig eine Kurzreise nach Neapel verkauft. Nicht ohne zu betonen, dass es dort um diese Zeit keine Wettergarantie gibt und die Stadt bei Regen extrem trist aussieht.
Ich war noch nie in Neapel, aber es war mir ein inneres Bedürfnis, anderen die Laune zu verderben. Am Abend würde ich mich schon genug zusammennehmen müssen. Erdal hatte zum Spargelessen eingeladen und auf meiner Anwesenheit bestanden. Er findet, dass ich langsam anfangen soll, mich abzulenken. Vielleicht hat er ja Recht.
Ich hatte Erdal gebeten, seinen Gästen nichts von meinem Kummer zu erzählen: «Ich will mich heute Abend ablenken, verstehst du? Ich will so tun, als ginge es mir gut. Und das geht nur, wenn keiner weiß, wie es mir wirklich geht.» Erdal hatte genickt.
Als Jörg, Karsten und Tina in der Küche ihre Gläser zur Begrüßung erhoben, stellte er mich dann aber gleich sehr
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