Blaue Wunder
feinfühlig mit den Worten vor: «Das ist Elli, meine neue Mitbewohnerin. Sie ist vor drei Tagen von so einem blöden Arsch verlassen worden. Seither hat sie nur Schokolade gegessen und Sinead O’Connors in Endlosschleife gehört. Das ist auch für mich eine seelisch belastende Situation. Ihr wisst ja, wie ich immer mitleide. Seid also lieb zu uns.» Natürlich wurde ich rot.
Ich schaue mir Erdals Freunde an. Karsten ist Polizist, ein Mann der Tat. Erdal ist ziemlich hinter ihm her und hofft, dass es heute Nacht zum Äußersten kommen wird. Jörg ist Autohändler und Erdals ältester Freund. Tina, die irgendwas mit Fernsehen zu tun hat, ist mir auf Anhieb sympathisch. «Liebeskummer», sagt sie, «bedeutet Narrenfreiheit. Vier Wochen darf man tun und lassen, was man will. Man braucht sich für nichts zu schämen oder zu rechtfertigen. Vor allem muss man keine Kalorien zählen. Prost, Elli!»
Ich habe den Eindruck, Jörg, Karsten und Tina haben mich sofort in ihr Herz geschlossen, und ich weiß genau, woran das liegt. Jeder Mensch auf der ganzen Welt weiß, wie sich Liebeskummer anfühlt. Jeder ist froh, wenn er gerade nicht darunter leidet, und ist voller Mitgefühl für jeden, den es mal wieder erwischt hat.
Es ist wie mit eingerissenen Fingernägeln und Zahnschmerzen oder, so nehme ich an, bei Männern, wenn ihnen mit hundertfünfzig Stundenkilometern ein Fußball in die Geschlechtsteile donnert: Die bloße Erwähnung löst kollektives Zusammenzucken und freundschaftliche Solidarität aus.
Eine Frau, die sich gerade den frisch manikürten Daumennagel bis zum Nagelbett abgeschrabbelt hat, verdient schwesterliche Unterstützung. Ich bin mir sicher, etliche blutige Auseinandersetzungen der Weltgeschichte hätten vermieden werden können, wenn kurz vorher der eine Stammesfürst dem anderen erzählt hätte, dass seine Aggressionen darauf zurückzuführen wären, dass er am vergangenen
Wochenende von seinem Weibe sitzen gelassen worden sei. «Und das, obschon die Beziehung meines Erachtens nach eigentlich völlig okay gelaufen ist.»
Jedenfalls versuchen alle, mich aufzuheitern und mir Mut zu machen. Was nur teilweise gelingt. Erschütternd zum Beispiel der Wortbeitrag von Jörg. Der ist vor drei Jahren von seinem Freund verlassen worden und immer noch nicht drüber weg: «Bei dir ist es bestimmt ganz anders, Elli, aber ich muss mir ganz einfach eingestehen, dass ich die große Liebe meines Lebens schon hinter mir habe.»
Jörg weint. Erdal auch. In der kurzen Zeit unseres Zusammenlebens habe ich rausgefunden, dass Erdal sich durch nichts so leicht anstecken lässt wie durch Tränen und Hysterie. Ich finde es, ehrlich gesagt, ein bisschen blöde, dass die beiden hier rumheulen, wo doch offensichtlich ich die Hauptleidtragende dieses Abends bin. Karsten scheint das auch so zu empfinden, denn er vollzieht einen rasanten Themenwechsel.
«Sagt mal, ich hab neulich wieder gehört, dass dieser Timo aus Bergedorf so einen riesigen Schwanz haben soll. Meint ihr, da ist was Wahres dran?»
Noch nie habe ich Tränen so schnell trocknen sehen wie die von Erdal. Es folgt ein langes, detailliertes Gespräch über Penisgrößen, Penisformen und die korrekten Definitionen von «groß», «normal», «klein» und «winzig». Tina und ich versuchen mit unseren bescheidenen Kenntnissen die Unterhaltung zu bereichern, aber so recht interessiert man sich nicht mehr für uns.
Erst als Erdal mich weinselig anschaut und sagt: «Mensch, Elli, erzähl doch mal, wie du deinem Verflossenen vor seiner Haustür aufgelauert hast», bekomme ich wieder die volle Aufmerksamkeit. Zum Glück bin ich mittlerweile derartig betrunken, dass es mir überhaupt nichts ausmacht, meine Schmach auszubreiten und von Stumpis Hinterkopf zu erzählen und ihrem blauen Auto, Kennzeichen HH-AC 1217.
Karsten sagt, er müsse mal kurz telefonieren. Na toll, ich scheine ihn ja echt gefesselt zu haben. Zwei Minuten später kommt er zurück: «Also: Astrid Crüll, geboren 1970, ledig, keine Vorstrafen, wohnhaft Hohenzollernring Nummer 2, Beruf Maklerin. Hat letzten Monat zwei Tickets wegen Falschparken bekommen.»
Einen Moment lang herrscht ratloses Schweigen. Dann begreife ich.
«Diese Astrid Crüll ist Stumpi?»
«Exakt!»
«Woher weißt du das?»
«Karsten ist doch Polizist», sagt Erdal. «Hast du das Autokennzeichen, genügt ein Anruf, und die Kollegen machen mal eben ganz schnell per Computer eine Personenüberprüfung.»
Erdal
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