Blaue Wunder
lächelt stolz. Und Karsten lächelt vorsichtig zurück. Könnte was werden mit den beiden.
«Hey, das eröffnet doch ganz ungeahnte Möglichkeiten», ruft Tina.
«Welche denn?», frage ich begriffsstutzig.
«Jetzt kannst du nicht nur ihn, sondern auch sie beschatten!»
Ich fühle seine Hände auf meinem Körper. Langsam zieht er mich zu sich heran. Ich spüre seinen Atem an meinem Hals.
Ich höre den Verkehr auf der Straße und das Summen des Kühlschranks in der Küche. Ich presse die Augenlider fest zusammen. Ich will jetzt nicht aufwachen, will weiterträumen! Dieser Traum ist so real, dass es wehtut. Es muss am Alkohol liegen, den ich gestern Abend getrunken habe, so viel wie lange nicht mehr. Wir waren zum Schluss unglaublich voll, und ich weiß noch, dass Karsten und Erdal zusammen ins Schlafzimmer verschwanden.
Im Halbschlaf spüre ich schon die Kopfschmerzen, die ich kriegen werde, aber dieser Traum entschädigt mich: Martin umarmt mich von hinten, küsst meinen Nacken, seine Hand fährt langsam über meinen Bauch. In Groschenromanen würde es jetzt heißen: «Anke, die rassige, gertenschlanke Innenarchitektin, die gerade eine große Liebesenttäusching hinter sich hat, gab sich Frank ganz hin, dem jungen, breitschultrigen Landadeligen, der sein Schloss umgestalten wollte. Sie spürte seine pulsierende Männlichkeit, den heißen Lie- bessporn, der sich ungeduldig in Erwartung eines rauschhaften Ineinanderversenkens an sie drängte.»
Jetzt legt Martin seine Hände auf meine Brüste, tastend, fast ein wenig unsicher, wie ich finde -
«Igitt! Was ist das denn? Das ist ja widerlich!»
Jemand brüllt so laut in mein armes abstehendes Ohr, dass es mir fast das Trommelfell zerreißt.
Ich schrecke hoch und sehe im Halbdunkel jemanden, wie von der Giftspinne gestochen, aus meinem Bett springen.
Es ist Karsten.
«O Gott, das tut mir Leid», stammelt er und hält sich verlegen seine Hände vors Genital, das gerade im Höllentempo auf Gänseblümchengröße schrumpelt. «Ich kam vom Klo und muss mich in der Tür geirrt haben.»
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mir ist kein psychologischer Ratgeber bekannt, und ich habe einige gelesen, der eine Frau auf eine derartige Situation vorbereitet.
«Verzeih, was ich gesagt habe, Elli. Ich habe mich nur so erschrocken, weißt du. Ich habe ja noch nie in meinem Leben eine Frauenbrust berührt, und es kam so unvermittelt. Du hast ganz tolle Brüste, ehrlich.»
Karsten verstummt, weil er offenbar gemerkt hat, dass seine Entschuldigung die Situation um keinen Deut entspannt.
«Schlaf gut, Elli.»
«Du auch, Karsten.»
Ich krieche unter meine Bettdecke, umarme mein Kuschelkissen und weine ein bisschen. Dann kichere ich wie eine Bekloppte. Welche Frau kann schon von sich behaupten, dass mal ein Mann «Igitt!» geschrien hat, als er ihren Busen berührte? So gesehen bin ich sicherlich einzigartig.
Sechs Uhr morgens zeigt der Wecker an. Schlafen kann ich nicht mehr. Das ist ja das Blöde daran, wenn’s einem nicht gut geht: Man schläft auch noch schlecht. In anderthalb Stunden muss ich sowieso aufstehen. Warum dann nicht gleich? Ich gehe leise in die Küche und mache mir einen großen Milchkaffee. In Erdals Zimmer herrscht tiefste Stille. Hoffentlich trägt der arme Karsten durch meinen Busen keinen dauerhaften Schaden davon.
Ich setze mich an den Laptop. Er ist zurzeit der einzige Kontakt zu meiner Freundin Petra. Welch sadistisches Schicksal hat dafür gesorgt, dass sie ausgerechnet jetzt in Goa ist. Kaum erreichbar. Nur alle paar Tage checkt sie im Internet-Cafe ihre Mails. In den letzten drei Tagen habe ich ihr bestimmt sechs Nachrichten geschrieben. Petra fehlt mir, als Komplizin, Ratgeberin, Trösterin, als der Mensch, der mich auf der Welt am allerbesten kennt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, wir haben in Mathe unsere Fehler voneinander abgeschrieben, wir sind gemeinsam ausgerissen, allerdings nur so kurz, dass unsere Eltern nichts davon gemerkt haben. Und wir haben schon einige Liebeskrisen zusammen durchgestanden. Ach, wäre sie doch bloß nicht so weit weg. Aber vielleicht hat sie sich ja gemeldet.
Mein Computer wünscht mir mit einem freundlichen Ding-dong einen guten Morgen. Beim Anmelden ärgere ich mich wie jedes Mal über mich selbst. Als ich vor Jahren einen AOL-Namen brauchte, waren alle Kombinationen schon vergeben, die auch nur entfernt mit meinem Namen zu tun hatten. Auch alle Phantasienamen waren belegt, zumindest die, für die
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