Blaue Wunder
funktioniert das!», hatte er gesagt.
«Wieso bist du dir da so sicher? Ich kann so was nicht.»
«Machst du Scherze, Elli? Du fragst ernsthaft, wie du einen Mann für einen One-Night-Stand kennen lernst? Nun, da habe ich einen bombensicheren Tipp: Geh in eine Bar und schau zugewandt in die Runde. Du weißt doch: Wer ficken will, muss freundlich sein.»
«So einfach ist das bei mir nicht. Ich bin noch nie angesprochen worden. Ich kann nicht flirten. Ich hab dafür einfach kein Talent.»
«Das ist doch Unsinn. Du brauchst kein Talent. Du brauchst bloß ein Outfit, in dem man erahnen kann, dass du Busen und Po hast, und dazu noch zwei Drinks und ein Kondom. Und natürlich eine weibliche Begleitung. Eine Frau allein sieht bedürftig aus oder so, als müsse man sie bezahlen. Und in Begleitung eines Mannes, selbst wenn er offensichtlich schwul ist, wird man nie angesprochen. Du musst also mit einer Freundin ausgehen.»
«Du weißt genau, dass ich in dieser Stadt keine Freundin habe», sagte ich weinerlich und kam mir ungeheuer allein und vom Schicksal gebeutelt vor. Ich legte eine Hand an meine Stirn, um meiner inneren Einsamkeit einen auch nach außen hin angemessenen Ausdruck zu verleihen.
Trotzdem reagierte Erdal taktlos.
«Jetzt mach hier mal nicht einen auf arme Seele. Du gehst mit Tina aus. Die wollte sowieso morgen auf die Piste.»
Erdal kann wirklich recht rabiat und dominant sein, wenn es nicht um ihn selbst geht. Seinen eigenen Problemen nähert er sich mit ungemein zarter Vorsicht, trifft Entscheidungen grundsätzlich zunächst unter Vorbehalt, schläft dann zwei bis drei Nächte nicht darüber, um dann die ganze Sache nochmal von vorne zu bedenken. Und das natürlich nicht im stillen Kämmerlein, sondern indem er sein Telefonbuch durcharbeitet, um möglichst viele Stimmen zu der Thematik auszuwerten.
Ich kenne keinen Menschen, der so viel telefoniert wie Erdal. Allerdings kenne ich auch keinen, der so viel angerufen wird. Irgendwas in seiner direkten Umgebung klingelt, vibriert oder musiziert immer. Und weil Erdal ständig neue Klingeltöne ausprobiert, braucht er meist lange, um zu kapieren, dass es sein Handy ist, das da diese seltsamen Geräusche von sich gibt.
Erst vor ein paar Tagen saßen wir mit Freunden von ihm in einem Straßencafe. Erdal schaute vorwurfsvoll in die Runde, weil aus irgendeinem Handy dauernd die Melodie von «Like Ice in the Sunshi- ne» schepperte. Dass es sein Handy war, das da musizierte, bemerkte er erst sehr spät. Komischerweise schämte sich Erdal überhaupt nicht.
Ich weiß nicht, ob ich es bewundern oder doof finden soll, dass Erdal nach dem Prinzip verfährt: Erst mal alle anderen verdächtigen und dann überlegen, ob vielleicht Außerirdische oder der US- Geheimdienst verantwortlich zu machen sind. Erst wenn kein anderer mehr als Schuldiger in Frage kommt, ist Erdal bereit, den Fehler bei sich zu suchen oder, besser noch: die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ist das nun asozial oder ein Zeichen von enormem Selbstbewusstsein? Oder muss man ein bisschen asozial sein, um selbstbewusst zu werden?
Ich bin ein fast pervers soziales Wesen. Ich schäme mich ja nicht nur für meine eigenen Fehler, sondern auch noch für die anderer Leute. Es gab Folgen von «Deutschland sucht den Superstar», die ich seelisch kaum verkraften konnte, weil jeder falsche Ton sich für mich anfühlte, als hätte ich ihn selbst gesungen. Ich schalte oft den Fernseher aus, wenn ich sehe, wie jemand auf dem besten Wege ist, sich komplett zum Löffel zu machen. Deswegen habe ich zum Beispiel noch nie eine komplette Sendung mit Elton oder Sonya Kraus gesehen.
Fehler suche ich, anders als Erdal, immer zunächst bei mir. Wirklich, mich kannst du frisch geduscht auf ein Sofa setzen neben einen Typen, der ein halbes Jahr im Dschungel war, und wenn dann jemand sagt: «Mensch, hier müffelt’s aber», würde ich sofort verschämt ins Badezimmer eilen und ein Ganzkörperdeo auflegen.
Ich habe ganz oft Angst, zu stören, andere zu nerven oder einen schlechten Eindruck zu machen. Und das Blöde ist, dass ich dadurch verkrampfe und genau das bewirke, was ich eigentlich vermeiden wollte. Als ich zum Beispiel mal bei meiner Schwester eingehütet habe, bin ich eine Woche lang nur auf Socken über den Parkettboden geschlichen, um die Mieter unter mir nicht zu belästigen. Den Fernseher habe ich so leise gestellt, dass ich Ulli Wickert die Nachrichten von den Lippen ablesen musste, denn ich finde, dass
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