Blaue Wunder
Gleichaltrigen zu unreif. Ich fühlte mich geistig viel weiter entwickelt und sehnte mich nach einem erwachsenen Mann, der mir sagte, welche Partei ich bei der Bundestagswahl wählen soll, und der an einem Wein zunächst ausgiebig roch, statt ihn sich sofort und praktisch ohne zu schlucken in den Magen schüttete.
Ich fand mich zu reif für diese großen Jungs, die das Leben nicht ernst nahmen, für die Alkohol ausschließlich ein Mittel darstellte, möglichst schnell betrunken zu werden, und die immer noch probierten, ob es nicht möglich war, sich einen ganzen Big Mäc in den Mund zu stopfen.
Heute fehlen sie mir, die Jungs. Und ich war schon ewig nicht mehr bei McDonald’s. Dabei habe ich manchmal richtig schlimme Sehnsucht nach einer Riesenportion Chicken Mc-Nuggets mit BarbecueSoße, zweimal Fritten mit Mayonnaise, einem Hamburger Royal TS und einem Erdbeershake.
Aber dann schaue ich durchs Fenster hinein und sehe bei McDonald’s eigentlich immer nur zwei Sorten Menschen: die jungen, denen die Hosen in den Kniekehlen hängen, und Mütter, die versuchen, ihre Kinder satt zu kriegen. Und ich gehöre nun mal zu keiner der beiden Gruppen. Und deswegen gehe ich immer vorbei, um mir dann drei Geschäfte weiter einen Multi-vitamin-Wrap zu kaufen, diese modischen, maßlos überschätzten, weil absolut geschmacksneutralen Teigrollen, die meist mit Putenbrust und Salat gefüllt sind und irgendwann auch satt machen - aber niemals glücklich.
Mit den Hamburgern Royal TS ist es wie mit den jungen Männern. Wenn man sich ansieht, welcher Typ Frau sich an einen Mitte Zwanzigjährigen ranmacht, dann sind das entweder die naturdünnen Achtzehnjährigen, die glauben ein Mann sei erwachsen, bloß weil er nicht mehr bei den Eltern wohnt. Oder es sind die coolen Frauen Ende dreißig, Anfang vierzig, die sich gerade von ihrem fünfzig Jahre alten Weinkenner getrennt und ihren pubertierenden Sohn für mindestens ein Jahr ins Ausland geschickt haben. Auch hier gehöre ich zu keiner der beiden Gruppen - und so bleiben mir wieder nur der fade Wrap mit Putenbrust, die Männer mit Kniestrümpfen und ersten Falten unterm Hintern.
Ich könnte ja einfach mal probehalber so tun, als hätte ich bereits eine langweilige Ehe hinter mir und dadurch das nötige Selbstbewusstsein, einem Mittzwanziger aufs Gesäß zu glotzen. Ich schaue mich vorsichtig um und sehe einen, der sich gerade auf die Eukalyptussauna zubewegt. Von hinten sieht der sehr knackig aus, breite Schultern, schmale Taille und lange Beine, mit denen er wahrscheinlich einmal die Woche Fußball spielt. Solche Jungs gehen nicht ins Fitnessstudio, um an lächerlichen Kursen wie «Strip and Dance», «Fettverbrennung» oder «Bauch, Beine, Po» teilzunehmen. Nein, solche Jungs spielen Squash und gehen danach kurz in die 95-Grad- Sauna. Alles, was weniger heiß ist, womöglich gar das Dampfbad, erschiene ihnen verweichlicht und memmenhaft. Dann springen sie ohne zu zögern in das Becken mit Eiswasser, legen sich kurz in den Whirlpool, bevor sie zum Abschluss mit ihrem Squashpartner noch ein Bier aus der Flasche trinken gehen.
Der leckere Junge verschwindet in der Sauna. Ich werde die Tür im Auge behalten, damit ich ihn auf jeden Fall auch noch von vorne betrachten kann.
Bin ich eigentlich schon alt? Ab wann ist man alt? Früher habe ich mich gewundert, wie ein Mensch über dreißig überhaupt noch Freude am Leben empfinden kann. Und dann, wenn du selbst so alt bist, findest du es auf einmal selbstverständlich, vernünftig geworden zu sein. Du gehst alle sechs Monate zur Zahnreinigung, schminkst dich jeden Abend ab und trainierst bei einer maximalen Pulsfrequenz von 125. Du machst Rückengymnastik, du bekommst einen Dekanter zum dreißigsten Geburtstag und einen Gutschein für eine regenerierende aryuvedische Mukabhyanga-Massage.
Ehe du dich versiehst, benutzt du so Erwachsenensachen wie sich selbst bewässernde Balkonblumenkästen. Du nimmst einen hohen Sonnenschutzfaktor, und irgendwann mietest du am Strand eine dieser blauen Plastikliegen, die unter Strohschirmen stehen. Und du schaust dich um, und dir wird klar, dass nur Babys und Greise unter Strohschirmen liegen.
Das Altwerden besorgt dein Körper ganz von allein. Schwieriger ist es, wie ich finde, erwachsen zu werden. Ich fühle mich eigentlich nicht besonders erwachsen. Wie soll das auch gehen, wenn ich die Mode, die jetzt modern ist, schon mit siebzehn getragen habe und ich es bitter bereue, dass ich damals weder
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