Blauer Montag
nicht zu bemerken. »Hier haben
Sie noch ein Exemplar für Ihre Sammlung.« Mit diesen Worten schob er ein Whiskyglas zu Karlsson hinüber. »Sie haben es sich verdient.«
»Danke, Sir«, antwortete Karlsson.
»Sie haben heute für das Team den Kopf hingehalten«, fuhr Crawford fort. »Glauben Sie bloß nicht, ich hätte das nicht registriert. Mir ist klar, dass ich Sie da zu etwas gedrängt habe, aber dafür gab es politische Gründe. Es galt zu demonstrieren, dass wir nicht untätig waren.«
Karlsson stellte seine Gläser enger zusammen, als überlegte er, aus welchem er zuerst trinken solle. »Es war meine Entscheidung«, antwortete er, »ich habe die Ermittlungen geleitet.«
»Sie sprechen jetzt nicht mit der Presse, Mal«, meinte Crawford. »Cheers!« Er leerte sein Glas auf einen Zug und erhob sich. »Ich kann nicht bleiben«, erklärte er. »Man erwartet mich zu einem Abendessen mit dem Innenminister. Sie wissen ja, wie so was ist. Ich gehe nur noch kurz rüber und spreche ein paar mitfühlende Worte mit den Jungs.« Dann neigte er sich Karlsson entgegen, als wollte er ihm etwas Persönliches anvertrauen. »Trotzdem hätte Ihnen ein Erfolg zugestanden. Viel Glück fürs nächste Mal!«
Reuben McGill rauchte immer noch, als lebte er in den Achtzigern. Oder in den Fünfzigern. Nachdem er sich eine seiner Gitanes angezündet hatte, ließ er das Feuerzeug zuschnappen und hüllte sich erst einmal in Schweigen. Frieda schwieg ebenfalls. Sie saß ihm gegenüber am Schreibtisch und musterte ihn prüfend. In gewisser Weise sah er besser aus als bei ihrer ersten Begegnung fünfzehn Jahre zuvor. Sein dichter Haarschopf war inzwischen grau, sein Gesicht faltiger. Er hatte sogar leichte Hängebacken bekommen, was jedoch seinem lässigen Charme keinen Abbruch tat, ganz im Gegenteil. Er trug immer noch Jeans und ließ bei seinen Hemden den Kragen offen. Dies war
ein Mann, der jedem – auch seinen Patienten – zu verstehen gab, dass er nicht zum Establishment gehörte.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er schließlich.
»Paz hat mich angerufen.«
»Ach ja? Es kommt mir vor, als wäre ich von lauter Spionen umgeben. Bist du auch eine Spionin? Also, wie schätzt du die Lage ein? Schließlich hat man dich nicht ohne Grund zu Hilfe gerufen.«
»Ich bin im Aufsichtsrat der Klinik«, antwortete Frieda. »Das bedeutet, dass ich reagieren muss, wenn jemand Bedenken äußert.«
»Na dann reagier mal schön«, meinte Reuben. »Was sollte ich deiner Meinung nach tun? Meinen Schreibtisch aufräumen?«
Die Tischplatte war unter Stapeln von Büchern, Unterlagen, Akten und Zeitschriften verborgen. Hinzu kam eine Sammlung von Stiften, Tassen und Tellern.
»Es ist gar nicht das Chaos an sich«, antwortete Frieda, »aber ich kann nicht umhin festzustellen, dass es sich um dasselbe Chaos wie bei meinem letzten Besuch vor drei Wochen handelt. Mir ist nicht klar, warum du nicht für neues Chaos gesorgt hast. Warum sich nichts verändert hat.«
Er lachte. »Du bist gefährlich, Frieda. Ich sollte mich nur auf neutralem Boden mit dir treffen. Wie du wahrscheinlich schon gehört hast, sind Paz und die anderen der Meinung, ich hätte nicht genug Kästchen abgehakt, nicht genug i-Tüpfelchen gemacht. Es tut mir leid, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt, mich um Menschen zu kümmern.«
»Paz macht sich doch nur Sorgen um dich«, entgegnete Frieda. »Genau wie ich. Du sprichst davon, Kästchen abzuhaken. Vielleicht ist das ein Alarmsignal. Und vielleicht ist es besser, das von den Leuten zu hören, die dich mögen, bevor es denen auffällt, die dich nicht mögen. Angeblich soll es solche ja auch geben.«
»Ja, angeblich«, antwortete Reuben. »Weißt du, was du tun
könntest, wenn du wirklich den Wunsch hättest, mir zu helfen ?«
»Was denn?«
»Wieder Vollzeit hier an der Klinik arbeiten.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre.«
»Warum nicht? Du könntest trotzdem deine eigenen Patienten behalten. Und gleichzeitig ein Auge auf mich haben.«
»Ich will kein Auge auf dich haben, Reuben. Ich bin nicht für dich verantwortlich, und du nicht für mich. Ich lege Wert auf meine Unabhängigkeit.«
»Was habe ich falsch gemacht?«
»Wie meinst du das?«
»Mehr oder weniger ab dem Moment, als du damals als eifrige junge Studentin zu uns kamst, bin ich davon ausgegangen, dass du die Klinik eines Tages von mir übernehmen würdest. Was ist passiert?«
Frieda runzelte ungläubig die Stirn. »Erstens würdest du
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