Blauer Montag
wusste nicht, ob er sich neben sie setzen oder lieber den Platz vor oder
hinter ihr nehmen sollte. Als er sich schließlich neben sie sinken ließ, klemmte er aus Versehen ihren Rock ein und sprang wie von der Tarantel gestochen wieder hoch.
»Wohin fahren wir?«
»Bekannte von mir haben vor Kurzem ein Café eröffnet. Ein Tagescafé. Von dort habe ich nicht mehr weit nach Hause.«
»Wunderbar«, sagte Jack. »Großartig. Ja.« Dann fiel ihm nichts mehr ein.
Während Frieda wortlos aus dem Fenster starrte, musterte er sie verstohlen. Noch nie war er ihr so nahe gewesen. Sein Oberschenkel berührte den ihren, und er konnte ihr Parfüm riechen. Als der Bus um eine Ecke bog, presste ihn die Fliehkraft noch fester an ihren Körper. Jack ging durch den Kopf, dass er nicht das Geringste über ihre Lebensumstände wusste. Sie hatte keinen Ring an der linken Hand, war also vermutlich nicht verheiratet. Aber lebte sie mit jemandem zusammen? Hatte sie einen Geliebten? Womöglich war sie ja lesbisch – er konnte es nicht sagen. Was tat sie, wenn sie die Klinik verließ? Wie kleidete sie sich, wenn sie nicht ihre maskulinen Anzüge oder einfachen Röcke trug? Ließ sie ihr Haar jemals offen über die Schultern fallen, tanzte wild und trank zu viel?
Nachdem sie ausgestiegen waren, hatte Jack Mühe, mit Frieda Schritt zu halten, die ihn durch ein Labyrinth aus Nebenstraßen in die Beech Street führte. Es gab dort etliche Restaurants, die nur aus einem einzigen Gastraum bestanden, überladen eingerichtete Cafés, kleine Kunstgalerien und diverse Läden, die Käse, Keramikfliesen oder Schreibwaren verkauften. Außerdem entdeckte Jack eine Schnellreinigung, einen Eisenwarenladen und einen Supermarkt, der mit einem Zeitungssortiment in Polnisch, Griechisch, aber auch Englisch warb.
In Nummer 9 war es warm und die Einrichtung schlicht. Es roch nach frischem Brot und Kaffee. Der Raum war alles andere als vollgepfercht, es gab nur ein halbes Dutzend Holztische, von denen die meisten im Moment unbesetzt waren.
Die Frau hinter der Theke hob grüßend die Hand. »Na, Frieda, wie ist es dir denn seit heute Morgen ergangen?«
»Gut. Kerry, das ist mein Kollege Jack. Jack, das ist Kerry Headley.«
Vor lauter Freude darüber, dass Frieda ihn als Kollegen vorstellte, bekam Jack einen roten Kopf und stammelte ein paar verlegene Worte.
Kerry strahlte ihn an. »Was darf ich euch bringen? Kuchen ist nicht mehr viel da – Marcus wird nachher frischen backen. Er holt gerade Katya aus der Schule ab. Im Moment kann ich euch bloß ein paar kleine Haferküchlein anbieten.«
»Danke, für mich nur einen Kaffee«, antwortete Frieda, »aus eurer schimmernden neuen Maschine. Jack?«
»Ich schließe mich an«, sagte Jack, obwohl er vor lauter Koffein und Anspannung schon ganz hibbelig war.
Sie setzten sich an einen Fenstertisch. Jack nahm gegenüber Frieda Platz. Als er seinen dicken Mantel auszog, sah sie, dass er über seiner braunen Cordhose ein bunt gestreiftes Hemd trug, unter dem ein limonengrünes T-Shirt hervorblitzte. Seine Turnschuhe wirkten abgetragen, und sein gelbbrauner Haarschopf sah aus, als würde er sich den ganzen Tag vor Verzweiflung die Haare raufen.
»Sind Sie auch so angezogen, wenn Sie sich mit Ihrem Patienten treffen?«, fragte Frieda.
»Nicht genau so, aber in dem Stil. So kleide ich mich eben. Ist das ein Problem?«
»Ich finde, Sie sollten etwas Neutraleres tragen.«
»Sie meinen, Anzug und Krawatte?«
»Nein, nicht Anzug und Krawatte. Irgendetwas Langweiliges, ein Hemd in einer gedeckten Farbe oder eine schlichte Jacke. Etwas Unauffälligeres, das bei Ihrem Patienten nicht allzu viel Interesse für Sie weckt.«
»Die Gefahr besteht sowieso nicht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Typ, den ich therapieren soll, ist völlig auf sich selbst fixiert. Das ist sein eigentliches Problem. Und meines auch. Ist das nicht übel? Wenn man als Therapeut feststellt, dass einem sein erster Patient total auf den Geist geht?«
»Sie müssen ihn nicht mögen. Sie müssen ihm nur helfen.«
»Dieser Kerl«, fuhr Jack fort, »hat Probleme in seiner Ehe. Wie sich nun aber herausstellt, sind diese Probleme deswegen entstanden, weil es in seinem Büro eine Frau gibt, mit der er schlafen möchte. Im Grunde macht er die Therapie nur, weil er von mir hören will, dass seine Frau ihn nicht versteht und es daher in Ordnung ist loszuziehen und andere Möglichkeiten auszuloten. Mir kommt es so vor, als fühlte er sich gezwungen, diese
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