Blauer Montag
dein Baby niemals jemand anderem übergeben. Zweitens möchte ich keine solche Institution leiten, ich möchte mein Leben nicht damit verbringen, zu überprüfen, ob die Telefonrechnungen bezahlt und die Brandschutztüren geschlossen sind.« Frieda hielt einen Moment inne. »Als ich damals an die Klinik kam, war mir sofort klar, dass es für mich – zu dem Zeitpunkt – auf der ganzen Welt keinen besseren Platz zum Arbeiten gab. Es ist schwer, etwas auf einem solchen Niveau zu halten. Ich wäre dazu nicht fähig.«
»Du meinst, mir ist es auch nicht gelungen? Ist es das, was du sagen willst – dass die Klinik heruntergekommen ist?«
»Es ist wie mit einem Restaurant«, antwortete Frieda.
»Eines Abends kocht man ein großartiges Essen. Aber dann muss man es am nächsten und übernächsten Abend wieder so gut hinbringen. Die meisten Leute schaffen das nicht.«
»Ich backe doch keine verdammte Pizza. Ich helfe Leuten dabei, mit ihrem Leben fertig zu werden. Was mache ich falsch? Sag es mir!«
»Ich habe nicht gesagt, dass du etwas falsch machst.«
»Aber du zerbrichst dir meinetwegen den Kopf.«
»Vielleicht«, meinte Frieda vorsichtig, »solltest du ein bisschen mehr delegieren.«
»Ist es das, was ihr alle denkt?«
»Das Warehouse ist dein Werk, Reuben. Du hast damit Außerordentliches vollbracht. Die Klinik hat vielen Leuten geholfen. Aber du darfst sie nicht zu sehr als dein Eigentum betrachten. Sonst bricht alles zusammen, wenn du eines Tages gehst. Das willst du doch bestimmt nicht. Es ist nicht mehr dieselbe Klinik wie damals, als du in deinem kleinen Hinterzimmer angefangen hast.«
»Natürlich nicht.«
»Ist dir je in den Sinn gekommen, dass dein momentaner Kontrollverlust vielleicht deine Art ist loszulassen, ohne dir und deiner Umwelt eingestehen zu müssen, dass du loslässt?«
»Kontrollverlust? Weil auf meinem Schreibtisch Chaos herrscht?«
»Und dass es vielleicht besser wäre, dabei ein wenig rationaler vorzugehen?«
»Verschwinde. Mir ist heute nicht nach Therapie zumute.«
»Ich wollte sowieso gerade gehen.« Frieda erhob sich. »Ich habe eine Besprechung.«
»War das jetzt so eine Art Abmahnung?«, fragte Reuben.
»Wieso widerstrebt es dir derart, Kästchen abzuhaken und i-Tüpfelchen zu machen? Ohne Tüpfelchen weiß man doch nicht, dass es ein i sein soll.«
»Mit wem hast du eine Besprechung? Geht es dabei um mich?«
»Ich treffe mich mit meinem Praktikanten. Es handelt sich um unseren üblichen wöchentlichen Termin, und wir werden dabei nicht über dich sprechen.«
Reuben drückte in einem bereits überquellenden Aschenbecher seine Zigarette aus. »Du kannst dich nicht den Rest deines
Lebens verstecken, indem du dich in dein kleines Zimmer setzt und mit den Leuten redest, Frieda. Du musst hinaus in die Welt und dir die Hände schmutzig machen.«
»Ich dachte immer, genau das wäre unser Job: in einem kleinen Zimmer zu sitzen und mit den Leuten zu reden.«
Als Frieda aus Reubens Büro kam, hing Jack Dargan bereits auf dem Gang herum. Er war ein schlaksiger junger Mann, der sich durch leidenschaftlichen Lerneifer, Intelligenz und Ungeduld auszeichnete – und von der Klinik genau so begeistert war wie Frieda in seinem Alter. Er nahm als Zuhörer an Gruppentherapiesitzungen teil und betreute einen eigenen Patienten. Einmal die Woche traf Frieda sich mit ihm, um über seine Fortschritte zu sprechen. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Jack sich Hals über Kopf in sie verliebt. Er wusste, dass es sich dabei um ein Klischee handelte und dass Frieda sich über seinen Zustand im Klaren war, und verachtete sich selbst dafür.
»Ich muss hier raus«, erklärte sie nun, »lassen Sie uns einen Kaffee trinken gehen.«
Während sie sich in Bewegung setzten, kam ihnen ein rundgesichtiger Mann entgegen, der einen ziemlich verlorenen Eindruck machte und sich mit Spanielaugen suchend umblickte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Frieda.
»Ich bin auf der Suche nach Dr. McGill.«
»Das ist sein Wartezimmer.« Sie nickte zu einer geschlossenen Tür hinüber.
Beim Verlassen der Klinik kamen sie an Paz vorbei, die an der Strippe hing und gerade einen ganzen Schwall von Worten ausstieß, während sie gleichzeitig schwungvoll mit ihren beringten Händen herumfuchtelte. Frieda fühlte sich plötzlich wie eine Entenmutter mit einem einsamen Küken im Schlepptau. Als sie mit Jack auf die Straße trat, zuckelte soeben ein Bus den Hügel herauf. Nervös stieg Jack hinter ihr ein. Er
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