Blauer Montag
ganze Prozedur durchzumachen, damit er sich hinterher die Lizenz zum Fremdgehen geben und ein gutes Gefühl dabei haben kann.«
»Und?«
»Während meiner Ausbildung wurde mir beigebracht, Menschen zu heilen. Körperlich und geistig. Ich bin nicht allzu glücklich darüber, wenn meine Aufgabe als Therapeut nur darin besteht, ihm beim Betrügen seiner Frau ein gutes Gefühl zu vermitteln.«
»Sehen Sie Ihre Arbeit hier wirklich so?« Frieda musterte ihn aufmerksam und registrierte dabei eine Mischung aus Nervosität und leidenschaftlichem Eifer. Ihr entging weder der Ausschlag an seinen Handgelenken noch die Tatsache, dass er Nägel kaute. Jack wollte ihr gefallen und sie gleichzeitig herausfordern. Er sprach schnell, die Worte quollen nur so aus ihm heraus, und die Farbe seiner Wangen wechselte zwischen Röte und Blässe.
»Ich weiß nicht, wie ich meine Arbeit hier sehen soll«, antwortete Jack. »Genau das will ich damit ja zum Ausdruck bringen. Ihnen gegenüber kann ich doch ehrlich sein, oder? Ich habe kein gutes Gefühl dabei, ihn zum Fremdgehen zu ermutigen. Andererseits kann ich auch nicht einfach zu ihm sagen: ›Ehebruch ist eine Sünde.‹ Das ist keine Therapie.«
»Warum sollte er denn Ihrer Meinung nach keinen Ehebruch begehen? Sie wissen doch gar nicht, wie seine Frau ist. Vielleicht treibt sie ihn ja regelrecht in die Arme einer anderen. Oder womöglich begeht sie selbst auch Ehebruch.«
»Über seine Frau weiß ich nur, was er mir erzählt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sollen die Leute doch einen roten Faden in der Geschichte ihres Lebens finden. Dieser Typ hat offenbar einen gefunden – und zwar einen, der ihm verdammt gelegen kommt. Ich versuche, mich in ihn hineinzufühlen, auch wenn er mir das nicht gerade leicht macht, aber er selbst versucht seinerseits überhaupt nicht, sich in seine Frau hineinzufühlen. Oder in sonst jemanden. Damit habe ich ein Problem. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich möchte ihn nicht einfach darin bestärken, ein Mistkerl zu sein. Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?«
Mit diesen Worten lehnte er sich zurück, griff nach seiner Tasse und verschüttete prompt ein wenig Kaffee. Hinter ihm kam ein untersetzter Mann mit einem Mädchen im Schlepptau zur Tür herein. Mit ihrem riesigen Schulranzen sah die Kleine aus wie eine Schildkröte. Der Mann nickte Frieda zu und hob grüßend die Hand.
»Sie können nicht die ganze Welt therapieren«, erklärte Frieda. »Genauso wenig können Sie losziehen und die Welt verändern, bis sie Ihren Vorstellungen entspricht. Sie können sich lediglich um das kleine Stück Welt kümmern, das sich im Kopf Ihres Patienten befindet. Sie brauchen ihm nicht die Erlaubnis für irgendetwas zu geben. Das ist nicht Ihre Aufgabe. Aber Sie sollten ihn dazu bringen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Wenn ich vom roten Faden einer Lebensgeschichte spreche, meine ich damit nicht irgendeinen beliebigen roten Faden. Ihr Ausgangspunkt könnte sein, dass Sie versuchen, ihm begreiflich zu machen, warum er sich für sein Handeln Ihren Segen wünscht. Warum marschiert er nicht einfach los und setzt sein Vorhaben in die Tat um?«
»Wenn ich es so formuliere, tut er vielleicht genau das.«
»Zumindest müsste er dann selbst die Verantwortung dafür übernehmen, statt sie auf Sie abzuwälzen.« Frieda überlegte einen Moment. »Wie kommen Sie denn in den Gruppentherapiesitzungen mit Dr. McGill klar?«
Jack formulierte seine Antwort ziemlich vorsichtig. »Ich glaube, er hat einfach nicht genug Zeit, um sich mit mir abzugeben. Oder überhaupt mit uns Praktikanten. Bevor ich diese Stelle hier am Warehouse bekam, hatte ich so viel von ihm gehört, aber in natura erscheint er mir nun recht gestresst und zerstreut. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir auf seiner Prioritätenliste besonders weit oben stehen. Vielleicht täusche ich mich auch. Sie kennen ihn viel besser als ich.«
»Ja, vermutlich.«
6
N euerdings empfand Reuben McGill fünfzig Minuten ohne Zigarette als lange Zeit. Nachdem er in seinem Büro noch schnell eine geraucht hatte, schob er sich ein extrastarkes Minzbonbon in den Mund. Er wusste, dass es nichts half. Heutzutage merkten die Leute sofort, wenn man geraucht hatte, da konnte man lutschen, was man wollte. Vor zwanzig Jahren war das noch ganz anders, weil damals die ganze Welt ein wenig nach Zigaretten roch. Andererseits, was spielte das für eine Rolle? Warum lutschte er überhaupt dieses Minzbonbon? Rauchen war
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