Blauer Montag
blaue Jogginghose mit Längsstreifen an den Außenseiten und Sommersandalen mit Stilettabsätzen. Frieda fragte sich, ob es sein konnte, dass ihre Schwägerin gerade einen Nervenzusammenbruch erlitt. Irgendwie schien momentan die Hälfte der Leute rund um sie herum mehr oder weniger zusammenzubrechen. »Er hätte dich niemals verlassen, nicht mal in einer Million Jahren«, verkündete Olivia gerade. »Also warum?«
Eigentlich wollte Frieda gar nicht über Sandy reden, und schon gar nicht mit Olivia. Wie sich herausstellte, sollte sie auch gar keine Gelegenheit dazu bekommen.
»Erstens ist er ein Bild von einem Mann. Mein Gott, wenn du ein paar von den Kerlen gesehen hättest, mit denen ich mich in letzter Zeit getroffen habe! Ich habe wirklich keine Ahnung, woher sie den Mumm nehmen, sich als attraktiv zu bezeichnen. Da überfällt einen schon das kalte Grauen, wenn sie nur zur Tür reinkommen. Sie wollen eine tolle Blondine, halten es aber offensichtlich nicht für nötig, selbst auch ein bisschen Mühe auf ihr Äußeres zu verwenden. Für wie verzweifelt halten die uns eigentlich? Einen Traummann wie Sandy würde ich mir sofort schnappen.«
»Du hast ihn doch nie persönlich kennengelernt.«
»Warum eigentlich nicht? Wo war ich die ganze Zeit? Ach ja. Zweitens, er ist reich. Zumindest gehe ich davon aus, schließlich ist er Arzt oder so was in der Richtung. Denk an seine Rente! Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen! Das ist durchaus wichtig, lass dir das von mir gesagt sein. Sogar verdammt wichtig. Als alleinstehende Frau hat man es nicht leicht, das darfst du mir glauben. Auf dich trifft das besonders zu, weil du über keinerlei Sicherheitsnetz verfügst, seit dich deine verfluchte Familie aus ihrem Testament gestrichen hat. Lieber Himmel, ich hoffe, du hast das schon gewusst! Oder habe ich jetzt womöglich die Katze aus dem Sack gelassen?«
»Es kommt nicht allzu überraschend«, meinte Frieda trocken. »Aber ich will ihr Geld sowieso nicht. Außerdem glaube ich auch gar nicht, dass sie genug haben, um mir was zu hinterlassen.«
»Na, dann ist es ja gut. Wo war ich gerade?«
»Bei zweitens. Aber wahrscheinlich hast du nach zweitens ohnehin nicht mehr viel aufzuzählen, oder?«
»Ach ja, reich. Allein dafür würde ich ihn heiraten. Ich würde alles tun, um aus diesem Dreckloch herauszukommen.« Wütend trat sie nach einer umgefallenen Weinflasche, die neben dem Sofa lag. »Drittens wette ich, dass er dich liebt, und deswegen sollte drittens auch viertens und fünftens sein, weil es eine so seltene und kostbare Sache ist, von jemandem geliebt zu werden.« Abrupt brach sie ab und warf sich aufs Sofa. Ein Teil von dem Rotwein, der in ihrem Glas noch übrig war, schwappte heraus und landete als purpurroter Fleck auf ihrem Schoß. »Viertens – oder sollte ich sagen sechstens? – ist er nett. Oder nicht? Vielleicht auch nicht, denn wenn ich mich richtig erinnere, hast du ein Faible für furchterregende Männer. Schon gut, schon gut, ich habe es nicht so gemeint, also vergiss es gleich wieder. Siebtens …«
»Hör auf. Das ist erniedrigend.«
»Erniedrigend? Soll ich dir mal zeigen, was wirklich erniedrigend ist? Du brauchst dich bloß umzusehen!« Sie machte eine ausladende Handbewegung, die zur Folge hatte, dass rund um sie herum die Asche zu Boden rieselte. »Fünftens oder zehntens oder wie auch immer, du wirst nicht jünger.«
»Olivia. Halt endlich den Mund, ja? Du bist schon viel zu weit gegangen, und wenn du noch ein Wort in diese Richtung sagst, stehe ich auf und verschwinde. Eigentlich bin ich ja gekommen, um Chloë ein bisschen Chemie beizubringen.«
»Tja, nachdem Chloë noch nicht da ist, musst du wohl mit mir vorliebnehmen, bis sie auftaucht – was vielleicht niemals der Fall sein wird. Bald bist du zu alt für eigene Kinder, wobei
das aus meiner Sicht vielleicht sogar ein Glücksfall ist. Hast du über das Thema schon mal nachgedacht? Schon gut, schon gut! Sieh mich ruhig mit diesem Blick an, bei dem einem das Blut in den Adern gefriert. Nachdem ich inzwischen schon zwei, nein drei Gläser Wein intus habe« – mit diesen Worten nahm sie einen letzten theatralischen Schluck aus ihrem Glas –, »kannst du mich nicht mehr einschüchtern. Ich bin gut isoliert. Außerdem kann ich in meinem eigenen Haus sagen, was ich will, und meiner Meinung nach bist du eine verdammte Närrin, Frau Dr. Frieda Klein-mit-Unmengen-von-Buchstaben-hinter-dem-Namen. Wie gesagt, drei Gläser Wein.
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