Blauer Montag
es innen so sein würde wie die anderen Häuser auf dem Weg hierher: ein einziger offener Raum,
den man geschaffen hatte, indem man Wände entfernte und große Verandatüren einbaute. Stattdessen befand sie sich in einem Labyrinth aus Gängen, kleinen Räumen, großen Schränken und breiten, vollgestopften Regalen. Carrie führte sie am Wohnzimmer vorbei, aber Frieda blieb genug Zeit, um einen Blick auf eine gemütliche Nische mit einem in die Wand eingelassenen Holzofen zu erhaschen. Außerdem erspähte sie eine Vitrine voller Vogeleier, Federn und Nester aus Moos und Zweigen. Auf einem der gläsernen Regalböden thronte sogar ein ausgestopfter, am Kopf schon ein wenig kahler Eisvogel. Der angrenzende Raum – dessen Wände die meisten Leute herausgebrochen hätten – war noch kleiner und wurde von einem riesigen Schreibtisch beherrscht, auf dem mehrere Flugzeugmodelle aus Balsaholz standen, wie sie auch Friedas Bruder als Junge gebaut hatte. Schon allein beim Anblick stieg ihr sofort wieder der Geruch nach Kleber und Lack in die Nase. Sie wusste noch genau, wie sich die kleinen Bläschen aus Klebstoff anfühlten, die damals immer an seinen Fingerspitzen hafteten, und an die kleinen Tuben mit grauer und schwarzer Farbe konnte sie sich ebenfalls noch gut erinnern.
Im Vorraum der Küche hing eine Gruppe gerahmter Familienfotos. Auf ein paar von ihnen war Carrie als kleines Mädchen zu sehen, mit zwei Schwestern auf eine Gartenbank gequetscht oder in steifer Haltung neben ihren Eltern posierend. Andere zeigten Alan. Auf einem war er ebenfalls mit seinen Eltern abgebildet, eine kleine, stämmige Gestalt zwischen zwei großen, spindeldürren. Im Vorübergehen versuchte Frieda, einen genaueren Blick darauf zu werfen.
»Setzen Sie sich«, sagte Carrie, »ich hole ihn.«
Frieda zog ihren Mantel aus und ließ sich an dem kleinen Tisch nieder. Die Katzenklappe in der Hintertür klackte, und eine zweite Katze huschte herein. Mit ihrem schwarz, weiß und orangerot gefleckten Fell wirkte sie wie aus einem Puzzlebild entsprungen. Ohne jede Scheu hüpfte sie auf Friedas Schoß.
Nachdem sie es sich dort gemütlich gemacht hatte, fing sie an, behutsam eine ihrer Pfoten zu putzen.
Die Küche teilte sich in zwei Hälften. Frieda empfand das als sichtbare Manifestation zweier völlig unterschiedlicher Interessensgebiete, als deutliche Abgrenzung der Rollen, die Alan und Carrie im Haus zukamen: die Frau, die kocht, und der Mann, der baut und ausbessert. Auf einer Seite befanden sich all die Dinge, die man normalerweise in einer Küche vorfindet: Ofen, Mikrowelle, Wasserkessel, Waage, Küchenmaschine, ein Magnetstreifen für die scharfen Messer, ein Gewürzbord, ein Turm aus Töpfen und Pfannen, eine Schale mit grünen Äpfeln, ein kleines Regal für die Rezeptbücher, von denen ein paar alt und abgegriffen aussahen, während andere noch ganz unberührt wirkten, eine Schürze an einem Haken. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großes Regal, unterteilt in unzählige kleine, mit Behältern versehene Fächer, von denen jedes einzelne in großer, ordentlicher Druckschrift beschriftet war: »Nägel«, »Reißzwecken«, »Schrauben 4,2 x 65 mm«, »Schrauben 3,9 x 30 mm«, »Meißel«, »Beilagscheiben«, »Sicherungen«, »Schlüssel zum Entlüften der Heizkörper«, »denaturierter Alkohol«, »Schleifpapier – grob«, »Schleifpapier – fein«, »Bohrspitzen«, »Batterien – AA«. Es waren bestimmt Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte solcher Fächer. Das Ganze erinnerte Frieda an einen Bienenstock. Alan musste da eine Menge Arbeit hineingesteckt haben. Sie stellte sich vor, wie er mit seinen dicken Fingern behutsam all diese kleinen Gegenstände in die Fächer legte, einen zufriedenen Ausdruck auf seinem runden Babygesicht. Sie sah das Bild so deutlich vor sich, dass sie einen Moment brauchte, um es wieder loszuwerden.
Unter anderen Umständen hätte sie vielleicht eine spöttische Bemerkung gemacht, doch sie spürte, dass Carrie sie fixierte, und war sich der besonderen Dynamik zwischen ihnen beiden durchaus bewusst. Statt ihrer sagte Carrie in trockenem Ton: »Er baut gerade einen Gartenschuppen.«
»Und ich dachte, ich wäre gut organisiert«, meinte Frieda, »aber das hier schlägt alle Rekorde.«
»Die Gartensachen sind momentan da drin.« Carrie nickte zu einer schmalen Tür neben dem Fenster hinüber. Vermutlich eine Kammer, die eigentlich für Vorräte gedacht war. »Allerdings hat er in letzter Zeit kaum
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