Blauer Montag
darüber?«, fragte sie ihn anschließend.
Ganz langsam und so vorsichtig, dass es fast schon übertrieben wirkte, schenkte Josef ihr ein weiteres Mal nach. »Ich denke«, erwiderte er, »dass Sie nicht mehr darüber nachdenken sollten. Es ist besser, wenn man nicht so viel nachdenkt.«
Frieda nippte an ihrem Drink. War das ihr drittes oder viertes Glas? Oder womöglich schon das fünfte? Oder hatte Josef ihnen jeweils schon nachgeschenkt, ehe sie ausgetrunken hatten, sodass man gar nicht von einzelnen Gläsern sprechen konnte? Sie wollte Josef gerade zustimmen, dass es tatsächlich besser sei, nicht so viel nachzudenken, als ihr Telefon klingelte. Sie war selbst derart erstaunt über das, was sie hatte antworten wollen, dass sie das Telefon vor lauter Überraschung ein paarmal läuten ließ.
Josef sah sie fragend an. »Wollen Sie nicht rangehen?«
»Doch, doch.« Frieda holte tief Luft. Ihr war ein bisschen schummrig. Zögernd meldete sie sich. »Hallo.«
»Ich liebe dich.«
»Wer ist da?«
»Wie viele Frauen rufen dich denn an, um dir zu sagen, dass sie dich lieben?«
»Chloë?«
»Ich liebe dich, auch wenn du so streng und kalt bist.«
»Bist du immer noch betrunken?«
»Muss ich betrunken sein, um dir zu sagen, dass ich dich liebe?«
»Hör zu, Chloë, du solltest jetzt besser ins Bett gehen und deinen Rausch ausschlafen.«
»Ich bin schon im Bett. Mir geht’s miserabel.«
»Bleib, wo du bist. Trink die ganze Nacht über möglichst
viel Wasser, selbst wenn dir davon noch schlechter wird. Ich melde mich morgen bei dir.« Sie legte auf, sah Josef an und verzog verzweifelt das Gesicht.
»Nein«, sagte er, »das ist schon gut so. Sie bringen Sachen wieder in Ordnung. Genau wie ich. Vor zwei Tagen hat mich eine Frau angerufen, für die ich mal gearbeitet habe. Sie schreit, also fahre ich zu ihrem Haus. Dort schießt Wasser wie eine Fontäne aus einem Rohr. In ihrer Küche steht das Wasser schon fünf Zentimeter hoch. Sie schreit immer noch. Dabei ist es nur ein einfaches Ventil. Ich schließe das Ventil und kümmere mich um die Überschwemmung. Sie machen es auch so. Es gibt einen Notfall, die Leute rufen Sie an, und Sie fahren hin und retten sie.«
»Ich wünschte, es wäre so«, meinte Frieda. »Ich wäre so gerne die Person, die weiß, was zu tun ist, wenn jemandes Boiler nicht funktioniert oder der Wagen nicht anspringt. Mit solchen Fachkenntnissen kann man wirklich etwas ausrichten. Sie sind derjenige, der den Rohrbruch repariert. Ich bin diejenige, die vom Hersteller des Rohrs engagiert wird, damit sie hinfährt und versucht, die schreiende Person dazu zu überreden, die Firma nicht zu verklagen.«
»Nein, nein«, widersprach Josef, »sagen Sie das nicht. Sie sind viel zu selbst …«
»Selbstkritisch?«
»Nein.«
»Selbstzerstörerisch?«
»Nein.« Josef fuchtelte wild mit den Händen herum, als versuchte er die Bedeutung des Worts, das ihm nicht einfiel, durch Gesten zum Ausdruck zu bringen. »Sie sagen: ›Ich bin schlecht‹, aber ich sage: ›Nein, Sie sind gut, Sie sind sehr gut.‹«
»Vielleicht haben Sie ja recht.«
»Sie sollen nicht einfach zustimmen«, meinte Josef, »Sie sollen mit mir diskutieren.«
»Dazu bin ich zu müde. Ich habe zu viele Wodkas getrunken.«
»Ich arbeite für Ihren Freund Reuben«, sagte Josef.
»Er ist nicht unbedingt mein Freund.«
»Ein seltsamer Mann. Aber er spricht über Sie. Ich erfahre etwas über Sie.«
Frieda zuckte mit den Schultern. »Die Zeit, als Reuben mich gut gekannt hat, liegt schon zehn Jahre zurück. Damals war ich noch ganz anders. Wie geht es ihm?«
»Ich mache sein Haus schöner.«
»Das ist gut«, antwortete Frieda. »Das ist wahrscheinlich genau das, was er braucht.«
»Möchten Sie mir erzählen, warum Sie so dringend einen Termin bei mir wollten?«
Sasha Wells war Mitte zwanzig. Sie trug eine dunkle Hose und eine Jacke, die so geschnitten war, dass man nicht viel von ihrer Figur sah. Das schmutzig blonde Haar der jungen Frau wirkte zerzaust. Ständig fuhr sie mit den Fingern hindurch und strich sich Strähnen aus den Augen, die ihr gar nicht in die Augen hingen. Außerdem war sie einen Tick zu dünn, und die Finger ihrer linken Hand hatten vom vielen Rauchen gelbe Flecken. Hinzu kam, dass sie Frieda nicht in die Augen schauen konnte und sie höchstens mal von der Seite halb anlächelte. Trotz alledem konnte die junge Frau ihre Schönheit nicht verbergen, auch wenn sich ihre großen Augen dafür zu entschuldigen
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