Blauer Montag
noch im Garten gearbeitet. Ich sehe jetzt mal nach ihm. Vielleicht schläft er ja. Er ist die ganze Zeit so müde.« Sie zögerte einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Ich möchte nicht, dass er sich aufregt.«
Frieda schwieg. Es gab zu viele Dinge, die sie darauf hätte sagen können, doch nichts davon hätte Carrie davon abgehalten, Frieda als Bedrohung zu sehen.
Sie lauschte Carries Schritten auf der Treppe. Frieda gegenüber war sie kurz angebunden gewesen, doch als sie nun nach ihrem Mann rief, klang ihre Stimme zärtlich, fast wie die einer Mutter. Kurz darauf hörte Frieda die beiden herunterkommen. Carries Schritte waren zugleich leicht und energisch, die von Alan langsamer und schwerer, als würde er den Fuß jedes Mal mit dem ganzen Gewicht seines kraftlosen Körpers belasten. Als er in der Tür auftauchte und sich dabei mit beiden Fäusten die Augen rieb, war nicht zu übersehen, wie müde und fertig er wirkte.
Sie setzte die Katze auf den Boden und erhob sich. »Es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.«
»Ich weiß gar nicht, ob ich wirklich geschlafen habe«, antwortete er. Er machte einen verwirrten Eindruck. Frieda entging nicht, wie Carrie ihm eine Hand auf den Rücken legte, um ihn in den Raum zu schieben, und dann wie eine Wächterin hinter seinem Stuhl Stellung bezog. Alan beugte sich hinunter, hob Gretel hoch und drückte sein Gesicht in ihr Fell.
»Es war mir ein Bedürfnis, mit Ihnen zu sprechen«, erklärte Frieda.
»Soll ich gehen?«, fragte Carrie.
»Das ist keine Therapiesitzung.«
»Keine Ahnung«, meinte Alan, »bleib, wenn du magst.«
Carrie wuselte erst einmal geschäftig in der Küche herum, füllte den Wasserkessel, öffnete Schranktüren und schloss sie wieder.
»Sie wissen, warum ich hier bin«, begann Frieda schließlich.
Die Art, wie Alan die Katze auf seinem Schoß streichelte, erinnerte Frieda an seine Angewohnheit, ständig mit beiden Händen über seine Oberschenkel zu reiben, wenn er bei ihr im Praxisraum saß, als könnte er sich nie ganz stillhalten. Sie holte tief Luft.
»Während unserer Sitzungen sind mir gewisse Parallelen zum Fall eines verschwundenen Jungen aufgefallen. Sein Name lautet Matthew Faraday. Deswegen habe ich mit der Polizei darüber gesprochen.«
Hinter ihrem Rücken klapperte Carrie zornig mit dem Besteck. Einen Moment später stellte Frieda die Tasse mit einem Knall hin. Tee schwappte über den Rand.
»Ich hatte unrecht. Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen zusätzlichen Kummer bereitet habe.«
»Tja«, antwortete Alan bedächtig, wobei er das Wort in die Länge zog. Offenbar hatte er nichts weiter dazu zu sagen.
»Ich weiß, dass ich Ihnen gesagt hatte, in meinem Raum könnten Sie sich sicher fühlen und ohne Bedenken alles aussprechen«, fuhr Frieda fort. Carries Gegenwart machte sie befangen. Statt wirklich mit Alan zu reden, rezitierte sie Worte, die sie vorher im Geiste geprobt hatte. Sie klangen gestelzt und unehrlich. »Aber angesichts der auffallenden Übereinstimmungen zwischen Ihren Fantasien und den Ereignissen in der realen Welt hatte ich das Gefühl, keine andere Wahl zu haben.«
»Dann tut es Ihnen also gar nicht wirklich leid«, bemerkte Carrie.
Frieda drehte sich zu ihr um. »Wieso sagen Sie das?«
»Sie sind doch der Meinung, in Anbetracht der Umstände richtig gehandelt zu haben. Sie halten Ihr Tun für gerechtfertigt.
In meinen Augen ist das kein echtes Bedauern. In solchen Fällen sagen die Leute Es tut mir leid, wenn , weil sie sich nicht dazu überwinden können zu sagen Es tut mir leid, dass … Genau das tun Sie gerade. Sie entschuldigen sich, ohne sich wirklich zu entschuldigen.«
»Das war nicht meine Absicht«, erwiderte Frieda vorsichtig. Sie war beeindruckt von Carries Kampfgeist und gleichzeitig gerührt über ihren starken Beschützerinstinkt gegenüber Alan. »Ich habe mich geirrt. Ich habe einen Fehler gemacht. Dass ich Ihnen die Polizei auf den Hals gehetzt habe, muss für Sie beide sehr schockierend und schmerzhaft gewesen sein.«
»Alan braucht Hilfe, keine gemeinen Unterstellungen. Wie sind Sie nur auf die Idee gekommen, er könnte den armen kleinen Jungen entführt haben! Sehen Sie ihn sich doch an! Können Sie sich wirklich vorstellen, dass er zu so etwas fähig wäre?«
Frieda hatte keinerlei Probleme damit, sich bei jedem Menschen so ziemlich alles vorzustellen.
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf«, mischte Alan sich ein. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob es nicht doch
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