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Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift

Titel: Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Autoren: Eva Almstädt , luebbe digital
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war. Nun stellte sie überrascht fest, dass ihr die Frau sympathisch war.
    Kerstin Bauer schenkte ungefragt drei Gläser Cola ein und stellte sich dann, die Ellenbogen auf den Tresen aufgestützt, ihnen gegenüber hin. Broders, der den Kontakt zu Frau Bauer hergestellt hatte, erklärte kurz, was sie im Wesentlichen wissen wollten.
    Frau Bauers Gesichtszüge verhärteten sich, als die Sprache auf ihre Tochter und die Vergewaltigung kam.
    »Wissen Sie, ich bin eigentlich die Falsche, wenn Sie etwas über Doro wissen wollen. Vom Tag ihrer Geburt an war mir dieses Kind irgendwie fremd. Erst dachte ich, es wäre die Gewöhnung an die neuen Umstände, das Baby und so. Ich war ja noch jung, gerade 18. Aber sie wurde älter und älter, und ich musste mir eingestehen, dass ich nie wirklich an sie herankam.
    Gleichzeitig war Doro eine Art Unglücksrabe. Sie kennen das vielleicht. Es sind immer die gleichen Kinder, die das Glas umschmeißen, in die Pfütze treten, sich den Rock zerreißen oder auf dem Schulhof gepiesackt werden. Dorothea war so ein Kind, aber sie ertrug immer alles stoisch. Wo ich getobt hätte, zuckte sie nur mit den Schultern. Eigentlich war die Vergewaltigung damals nur der fehlende Paukenschlag nach einer Serie von Unfällen und Unglücken.«
    Pia hörte ihr wie gebannt zu. Sie konnte sich Dorothea als Kind plötzlich sehr gut vorstellen. Und das Unglück, das sie angezogen zu haben schien ...
    »Mit elf Jahren kam Doro in die Pubertät, und zwar so heftig, dass ich eigentlich meine Sachen hätte packen und gehen können. Sie gab mir das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Ich war allein erziehend, hatte immer mal einen anderen Freund, und ich arbeitete in einer Kneipe, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
    Doro wollte immer so sein wie ihre Freundin Marlene. Untadelig, die hatte nie einen Fleck auf ihren weißen Söckchen. Marlene lernte natürlich Klavier und spielte Tennis, Doro musste in der Schule Handball spielen, wenn sie Sport treiben wollte. Ich tat, was ich konnte, aber mehr war einfach nicht drin. Doros Körper entwickelte sich viel zu schnell für ihren unruhigen Geist. Sie war ein kluges Mädchen, das aber nie Lust zur Schule hatte. Ich wollte sie deshalb zur Realschule schicken, dachte, zehn Jahre Schule wären genug. Ihre Klassenlehrerin hat mich daraufhin nur spöttisch angesehen und gesagt,ich würde wohl ein Talent nicht mal erkennen, wenn es mich in den Hintern beißt. Dorothea müsse aufs Gymnasium ...«
    Sie schwieg einen Moment lang und starrte in ihr Glas. Ihr Gesicht sah traurig aus. »Ich begann, tolle Pläne für meine Tochter zu schmieden. Ich war so stolz auf ihre Klugheit und ihre Unabhängigkeit. Ich sah sie schon als Ärztin oder Rechtsanwältin die Lorbeeren für mich einheimsen. Der Sommer ’82 machte all meine schönen Träume zunichte. Dieser Mann hat das Leben meines Kindes zerstört. Es kommt mir so vor, als ob ein Teil von ihr damals gestorben ist.
    Psychosoziale Verletzung nennen die Fachleute so etwas. Und was von meiner Doro übrig blieb, war ein Mensch, der zu niemandem mehr Vertrauen hatte. Ich habe sie zu verschiedenen Therapeuten gebracht, alles, was ich irgendwie für sie möglich machen konnte, aber es hat nicht geholfen. Sie hatte seitdem einen Hass in sich, der mir Angst machte.«
    »Was geschah weiter?«
    »Äußerlich betrachtet schien sich die Lage mit der Zeit zu stabilisieren. Doro machte ihr Abitur, sie studierte, sie war richtig gut in allem, was sie anpackte. Aber sie ließ keinen Menschen mehr an sich heran. Das letzte Mal, dass sie Gefühle zeigte, war, als sie erfuhr, dass Marlene Brinkmann von hier wegziehen würde. Das war zwei Jahre nach der Vergewaltigung. Da hat sie getobt und geschrien, sodass ich schon den Notarzt rufen wollte ...
    Ich weiß allerdings nicht, ob sie damals vor Wut und Hass ausgerastet ist oder weil sie Marlene irgendwie brauchte. Die Beziehung zwischen den beiden Mädchen habe ich nie richtig durchschaut.«
    »Ich glaube, diese Beziehung zwischen Marlene Liebig, damals Brinkmann, und ihrer Tochter ist der alles entscheidende Punkt bei unseren Ermittlungen«, sagte Pia nachdenklich. »Frau Bauer, versuchen Sie sich zu erinnern: Wie war das damals nach der Vergewaltigung? Haben sich die Mädchen noch getroffen?«
    »Ja, aber seltener als vorher. Ich hatte damals den Eindruck, als wollten Marlenes Eltern den Kontakt der Mädchen unterbinden. Das tat mir für Doro wahnsinnig leid. Sie brauchte in dieser schweren Zeit eine
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