Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
ansehen müssen?
»Ich werde langsam paranoid«, murmelte sie ärgerlich und stopfte das Kleid in die Trommel der Waschmaschine. Je eher sie das Kleid wusch, desto eher würde der Fleck sich wohl noch entfernen lassen.
War es wirklich so bemerkenswert, dass Clarissa schockiert gewesen war, als sie den Fleck entdeckt hatte?
Vielleicht war dies ihr Lieblingskleid, und Marlene hatte sie des Öfteren ermahnt, vorsichtig damit zu sein. Wenn sie berücksichtigte, dass Clarissa sich sowieso in einer angespannten Situation befand, war es vielleicht sogar verständlich, wenn sie bei so einem Missgeschick einmal überreagierte.
Als Pia an der geöffneten Tür zu Clarissas Kinderzimmer vorüberging, konnte sie sich davon überzeugen, dass das Mädchen nun völlig ruhig und selbstvergessen mit seinen Legosteinen spielte. Im Hintergrund spulte eine Kassette fröhlich klingende Weihnachtslieder ab. Pia griff sich kurz entschlossen den Staubsauger, um nicht weiter über blaue und rote Flecken und deren mögliche Bedeutung nachdenken zu müssen. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis Tom nach Hause kam. Draußen nieselte es, und der Himmel sah kaugummigrau aus. Sie musste irgendetwas tun.
Pia arbeitete sich mit dem Staubsauger vom Flur aus durch jedes Zimmer der geräumigen Wohnung und zögerte erst, als sie vor der Tür von Marlenes und Toms Arbeitszimmer stand. Es war ein gefangener Raum, den man nur durch das Schlafzimmer betreten konnte, was ihn noch intimer und privater machte. Andererseits war es erst kurz nach fünf, und sie hatte den Staubsauger einmal in der Hand ...
Sie stieß die Tür auf und sah hinein. Das Arbeitszimmer war nicht sehr groß, aber es hatte an der gegenüberliegenden Wand zwei Fenster, und vor jedem stand ein Schreibtisch. Der schwarze Tisch mit der dünnen Staubschicht darauf sah nach ihrem Bruder aus. Er hatte ihn bereits in seinem letzten Zimmer im Elternhaus besessen. Neben dem Schreibtisch befanden sich Pia ebenfalls vertraut aussehende Rollcontainer. Sie passten überhaupt nicht zu dem alten Dielenschrank auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers, in dem wohl Marlene ihre Akten und Ordner aufbewahrte.
Marlenes Schreibtisch war aus Glas mit einem verchromten Gestell darunter und einer eleganten Leuchte darauf. Er war mit etlichen Zetteln und Mappen bedeckt. Ein Kaffeebecher stand auf einem Stapel Papier, an seinem Rand konnte Pia Abdrücke von Marlenes Lippenstift erkennen.
Ein Spurenträger mit glatter Oberfläche, auf dem sich Fingerspuren und vielleicht auch Speichelreste sicherstellen lassen, schoss es Pia durch den Kopf. Leicht beschämt gestand sie sich ein, dass sie das Stück am liebsten sofort in einer Plastiktüte gesichert hätte.
Das ist ja krank, schalt sie sich selbst, beschloss aber, nichts auf dem Schreibtisch auch nur anzurühren. Sie wollte den Raum gerade verlassen, als ihr Blick auf einen aufgeschlagenen Terminkalender auf Marlenes Schreibtisch fiel. Pia konnte nicht umhin, die geöffnete Seite zu betrachten ...
Es war ein Wochenkalender, und die vergangene Woche lag aufgeschlagen da. Für den vergangenen Freitag hatte Marlene mit Kugelschreiber ihr Vorhaben notiert. »Corinna CH«, stand dort, »Abflug 16.20 h Hamburg-Fuhlsbüttel«.
Das war der Flug, den Tom für sie nach Zürich gebucht hatte. Marlene hatte auch ihren geplanten Rückflugtermin am Sonntag vermerkt. Warum nur war sie nicht wie geplant wieder in Hamburg eingetroffen? Und wo war sie überhaupt hin verschwunden, wenn nicht zu ihrer Freundin?
Pia beschloss, diese Freundin selbst anzurufen. Tom musste ja ihre Telefonnummer haben. Was konnte vorgefallen sein, dass Marlene ihre Pläne, diese Corinna übers Wochenende zu besuchen, geändert hatte?
Sie blätterte den Terminkalender um eine Seite zurück. In der vorangegangenen Woche hatte Marlene nicht viel notiert. Am Dienstag war sie nach Feierabend beim Frisör gewesen. Pia notierte sich die Telefonnummer und den Namen, die Marlene in der Spalte eingetragen hatte. Frisöre wussten manchmal mehr als Ehepartner ...
Dann stand dort noch »Moritz Geb.« oben in der Spalte des Donnerstags. Ein Moritz, der am Donnerstag Geburtstag hatte? Mehr war nicht im Kalender vermerkt. Soweit Pia es wusste, hatte Marlene ganz normal gearbeitet und sich nach Feierabend um ihre Tochter gekümmert. Normalerweise holte Marlenes Mutter, Inge Brinkmann, Clarissa vom Kindergarten ab und betreute sie nachmittags, bis Marlene Zeit hatte. Pia konnte sich nicht vorstellen,
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