Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
habe jetzt ein Aktenzeichen, aber immer noch keine Frau.«
»Vermisstenfälle werden hoch angesetzt, Tom. Du kannst davon ausgehen, dass eine ganze Menge unternommen wird, um Marlene zu finden.«
»Das haben die auch zu mir gesagt! Die Polizei sucht jetzt nach ihr. Nach unbekannten Toten, nach orientierungslosen Personen, nach Frauen, die bewusstlos in irgendwelchen Krankenhäusern liegen.«
»Ich weiß, wie so etwas läuft. Vermisstenfälle sind oft eine problematische Angelegenheit. Es wird großer Aufwand betrieben, die Vermissten zu finden, und ehe man sich versieht, stehen sie putzmunter wieder vor der Tür. Marlene ist eine erwachsene Frau, die niemandem Rechenschaft darüber ablegen muss, wo sie sich aufhält. Das ist das Ding mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht. Sie muss dir rein rechtlich gesehen nicht einmal mitteilen, wo sie sich befindet. Vielleicht brauchte sie ja nur etwas Abstand.«
Glaubte sie selbst an das, was sie da sagte? Oder suchte sie nur nach Worten, die Tom etwas zu beruhigen vermochten. Sollte sie von Corinna Charnins Eindruck etwas sagen, dass Marlene schon vor einer Woche ihre Pläne geändert hatte und scheinbar vorgehabt hatte, die freie Zeit zu nutzen, um sich mit einem anderen Mann zu treffen?
»Du wusstest schon immer alles besser, Pia. Du weißt bestimmt sogar, wie groß nach irgendeiner Statistik die Chance ist, dass ich Marlene lebend wiedersehe. Das tröstet mich!«
Sein Sarkasmus tat weh. Pia sagte sich, dass es nur ein Mechanismus war, mit dem er seine Ängste und seinen Zorn abzuwehren und auf sie umzuleiten versuchte. Trotzdem war die Versuchung groß, genau jetzt zu gehen. Du musst Verständnis für ihn haben, für seine Situation, ermahnte sie sich. Sie atmete einmal tief durch.
»Clarissa schläft übrigens seit acht Uhr. Ich habe ihr noch etwas vorgelesen, und du sollst ihr und ihrem Schlafhasen noch einen Kuss geben, wenn du da bist.«
Ein verzerrtes Lächeln huschte über Toms Gesicht.
»Ich werde dran denken. Danke, Pia. Tut mir leid, dass ich dich so angeschnauzt habe. Ich weiß gerade nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
Die Entschuldigung war nur eine Formsache, ein Lippenbekenntnis, das konnte sie an seinen Augen sehen. Trotzdem nickte sie. Für die Frage, die sie ihm stellen musste, brauchte sie zumindest eine Art Waffenstillstand.
Ein vorbeifahrendes Auto warf einen wandernden Lichtschein durch den Raum mit den vorhanglosen Fenstern. Tom schwieg. Pia gab sich einen Ruck: »War alles in Ordnung zwischen euch, als du Marlene am Freitag zum Flughafen gefahren hast?«
»Natürlich.«
»Clarissa war nicht mit?«
»Nein, sie war bei Marlenes Mutter.«
»Warum?«
»Wieso warum?«
»Warum war Clarissa bei ihren Großeltern, wo ihr doch beide da wart?«
»Marlene war im Begriff wegzufliegen.«
»Hätte Clarissa der Flughafen nicht gefallen? Wir waren doch als Kinder immer völlig begeistert, wenn wir mal mitdurften.«
»Worauf willst du hinaus, Pia?«
»Clarissa hat mir erzählt, dass ihr euch gestritten habt und sie deshalb zu Omi Inge sollte.«
»So, du glaubst also, was dir ein fünfjähriges Kind erzählt, und nicht mir. Dann brauche ich ja gar nicht mehr den Mund aufzumachen.«
»So ein Blödsinn! Ich habe mich nur gewundert, warum sie nicht dabei war. Wenn alles zwischen dir und Marlene in Ordnung war, dann ist es ja gut.«
»Man merkt, dass du nie verheiratet warst, Pia.«
»Ach ja?«
»Man streitet sich schon mal. Das gehört zu einer lebendigen Beziehung dazu. Nur wenn man wie du immer allein dahockt und niemanden an sich ranlässt, dann hat man auch keine Auseinandersetzungen.«
»Und was haben wir hier gerade?«
»Mit mir streitest du dich, weil dich unsere verwandtschaftlichen Bande dazu zwingen. Aber du bist es doch, die beziehungsunfähig ist. Marlene und ich hatten eine Auseinandersetzung über ihre Einkaufsgewohnheiten. Geld soll doch das Topthema Nummer eins in Beziehungsgesprächen sein?«
»Das ist mir neu. Ich denke, ihr habt jeder euer eigenes Geld?«
»Ja, das dachte ich auch. Wir haben auch ein gemeinsames Konto für Haushalt, Miete und so. Nur leider ist dieses Konto ständig leer, weil Marlene, wenn ihr Konto überzogen ist, sich vom Haushaltsgeld Klamotten und Kosmetik kauft.«
»Na ja, als ich Marlene zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich auch gefragt, wie sie sich das leisten kann, sich so herzurichten. Schönheit und Stil haben halt ihren Preis. Das muss dir doch auch klar gewesen sein.«
Pia war selbst
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