Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
ein Hund war das? Wie sahen die Leute aus?«
»Das habe ich alles schon deinen Kollegen erzählt. Der Hund war ein Mischling, oder ich kannte die Rasse nur nicht. Er war nass und sandig. Die Leute waren so mittelalt, sie hatten die gleichen Regenjacken an.«
»Vielleicht finden wir sie«, sagte Pia hoffnungslos.
»Glaube ich nicht«, gab Tom zurück.
»Hast du irgendwo dort einen Parkschein gezogen oder eine Quittung aus einem Lokal?«
»Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, dann hätte ich bestimmt tausend Quittungen und Belege besorgt.«
»Und danach?«
»Da war ich zu Hause. Am Samstag habe ich in meinem Arbeitszimmer gesessen und ein Angebot für die Firma ausgearbeitet. Clarissa war ja die ganze Zeit bei meinen Schwiegereltern. Ich wollte die freie Zeit nutzen. Außerdem habe ich am Sonntag zur Abwechslung mal ausgeschlafen. Sonntagmittag bin ich dann losgefahren, um Marlene abzuholen.«
»Ein ruhiges Wochenende«, meinte Pia und trank einen Schluck Wasser. Kein Alibi, wie es aussah. Toms einzige Chance auf eine Bestätigung seiner Aussage war, diese Leute mit Hund zu finden, denen er auf dem Priwall begegnet war, aber selbst dann ...
Tom steckte in Schwierigkeiten.
»Ein Nachbar von Tom und Marlene Liebig hat ausgesagt, dass er am Donnerstagabend einen Wortwechsel zwischen den beiden mit angehört hat. Das Küchenfenster bei den Liebigs stand offen, dadurch habe er gezwungenermaßen«, Wohlert hob vielsagend die Augenbrauen, »von seinem Balkon aus einen Streit zwischen Tom und Marlene Liebig mitbekommen. Es sei offenbar heftig und lautstark zugegangen. Das Wort Kreditkarte sei gefallen. Verschwendung, Schulden und so weiter. Er sagt aus, Marlene habe Tom vorgeworfen, er sei ein elendiger Geizhals und Korinthenkacker ... Was Tom seiner Ehefrau vorgeworfen hat, ist angeblich zu leise und zu schwer verständlich gewesen. Das Streitgespräch hat laut diesem Zeugen um Viertel vor elf abrupt geendet.«
»Was hat der Mann denn abends um die Uhrzeit noch auf seinem Balkon gemacht?«, fragte Heidmüller, und Pia bemerkte den eindringlichen Blick, den er dabei zu ihr herüberwarf. Eine solche Aussage war verhängnisvoll für Tom.
»Eine Zigarette geraucht.«
»Wirkte er glaubwürdig auf euch? Habt ihr sein Gehör überprüft?«, fragte Pia nur mit halbem Ernst, obwohl ihr an diesem Montagmorgen und nach einer solchen Eröffnung eigentlich nicht nach Scherzen zumute war.
»Er wirkte auf uns ziemlich glaubwürdig. Jeder Richter würde seine Aussage wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Ja.«
Die Richtung, in die sie diese Ermittlungen führten, war eindeutig. Da war schließlich noch der Blutfleck auf den Fliesen in der Küche. Marlenes Kaufsucht ... und die unwillkommene Erkenntnis bei Pia, dass ihr Bruder durchaus im Affekt etwas getan haben könnte, was Marlene den Tod gebracht hatte.
Sie hatte in der Nacht von Sonntag auf Montag nicht besonders gut geschlafen. Immer wieder war der sonderbare Blutfleck auf dem Küchenfußboden in ihren Träumen aufgetaucht. Ein Fleck, der in ihrer Vorstellung dieselbe Form gehabt hatte wie der Tintenfleck auf Clarissas Kleid.
Konnte Tom seine Frau im Zorn getötet und hinterher den Versuch unternommen haben, es zu vertuschen? War es vielleicht ein verhängnisvoller Unfall gewesen, ein Stoß, ein Schlag, der für Marlene tödlich gewesen war?
Aber da war auch noch der Tod von Holger Michaelis, mit dem Marlene irgendwie in Beziehung gestanden hatte. Sie war auf seinem Schiff gewesen. Und Michaelis war, nach allem, was sie bisher wussten, vorsätzlich ermordet worden, und zwar 24 Stunden nachdem der Nachbar diesen Streit zwischen Tom und Marlene mit angehört haben wollte. Und genau hier kam der Punkt, an dem sich Pias Verstand weigerte, den Verdacht weiter auszudehnen.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Tom einen kaltblütigen Mord geplant und durchgeführt haben sollte. Und die Chance, dass beide Fälle, Marlene Liebigs Verschwinden und der Mord an Holger Michaelis, nichts miteinander zu tun hatten, lief fast gegen null. Demnach musste sie weiterhin von Toms Unschuld ausgehen. Pia musterte die Gesichter ihrer Kollegen, eins nach dem anderen. Sie schienen allesamt weniger Zweifel an Toms Verwicklung in den Fall zu haben als sie. Aber es gab schließlich noch genügend andere Spuren, denen sie nachgehen mussten. Pia war noch lange nicht bereit, aufzugeben oder sich aus den Ermittlungen zurückzuziehen. Es war das Einzige, was sie für ihre Familie tun
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