Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
sogar eine Gartenschere, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass meine kaputt gegangen war. Und dann tanzten wir immer. Es war längst kein Unterricht mehr. Wir tanzten einfach. Stundenlang. Manchmal bis zum Sonnenaufgang. Es war so warm, dass die Fenster die ganze Nacht offen standen und der Duft der Rosen uns zu Kopf stieg. Wir lachten viel. Morgens sprang er in die Weser, um sich abzukühlen, während ich ihm Frühstück machte. Er wollte immer Rühreier mit Speck.«
    Janne stellt es sich vor: ihr Vater tanzend in den Armen dieser Frau, Tango, Rosenduft, vielleicht Kerzenlicht. Derselbe Mann, der in diesem Augenblick am Beatmungsgerät hängt, war noch vor zwei Jahren fit genug, mehrere Nächte hintereinander durchzumachen und danach in der Weser zu schwimmen. Janne sieht aus dem Fenster auf den Fluss, der sein Bett verlassen und die Uferwiesen unter Wasser gesetzt hat. Paul Flecker hat seit jeher gern in Flüssen gebadet, lieber als im Meer. Alles aus und vorbei. Vielleicht hätte er die Rühreier weglassen sollen oder wenigstens den Speck.
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich sagte Paul, dass ich meinen Mann verlassen würde, wenn er sich von seiner Frau trennt. Ich war verliebt, wollte mit ihm zusammen sein. Für immer. So etwas wie mit ihm hatte ich noch nie erlebt. Es war ... magisch.«
    »Aber er wollte nicht?«
    »Nachdem ich es gesagt hatte, kam er nicht wieder.«
    Während die Tanzlehrerin schweigt, zerfällt ihre Haltung und damit ihr Stolz. Es ist kein schöner Anblick.
    »Ich war sehr wütend auf Paul, weil ich ihn für feige hielt. Ich telefonierte ihm hinterher, lauerte ihm auf, drohte ihm, seiner Frau von uns zu erzählen.«
    »Was zu erzählen? Dass er den Tanzunterricht über Gebühr ausdehnte?«
    »Dass es Liebe war.« Davon ist sie überzeugt. Ihr Tonfall ist starrköpfig und reumütig zugleich. »Ich hätte ihn nicht so bedrängen dürfen. Als ich im Weserkurier die Nachricht von seinem Schlaganfall las, habe ich mir schwere Vorwürfe gemacht. Es ist mir ein Bedürfnis, mich bei ihm zu entschuldigen, wenn er aufwacht. Sonst finde ich keinen Frieden.«
    »Trauern Sie ihm nun seit zwei Jahren hinterher?«
    »So würde ich es natürlich nicht formulieren, aber im Grundetrifft es zu. Ich warte. Obwohl ich aufgehört habe, ihm nachzustellen. Das war unser nicht würdig.«
    Janne steht auf. »Ich gebe Ihnen einen Rat, Frau Jahn. Warten Sie nicht auf meinen Vater. Kommen Sie zur Vernunft. Zwar kann ich nicht beurteilen, ob er Sie geliebt hat, aber eines weiß ich sicher: Er wird sich nicht von seiner Frau trennen. Danke für das Gespräch und das Wasser.«
    Janne geht. Im Treppenhaus holt die Tanzlehrerin sie ein. »Was werden Sie jetzt tun? Ihre Mutter informieren?«
    »Das hätten Sie wohl gern«, sagt Janne. Sie nimmt zwei Stufen auf einmal.
    Am Fuß der Treppe dreht sie sich um. Karoline Jahn ist stehen geblieben, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Was für eine De-maskierung. Wenn das wirklich Liebe ist, will Janne gern darauf verzichten. Bevor sie auf die Autobahn fährt, pinkelt sie in ein Gebüsch.
     
    Imme Höft hat keine Tanzschule und keine Homepage. Als Janne sie anruft, ist sie sofort zu einem Treffen bereit. Sie schlägt ein chinesisches Restaurant in der Nähe des Cuxhavener Bahnhofs vor. Wie sich herausstellt, ist sie Schaffnerin - sie selbst sagt Zugbegleiterin - auf der Strecke Cuxhaven-Hamburg. Daher kennt sie das Restaurant, das sie nach der Arbeit regelmäßig mit Kollegen besucht, während Janne bislang noch nie dort gegessen hat. Sie hat nicht viel übrig für die chinesische Küche außerhalb Chinas. In Peking und Shanghai, wo die Deutsche Philharmonie oft gastiert, schmeckt alles, was aus dem Wok kommt, vollkommen anders. Doch darüber verliert Janne kein Wort. Sie ist ohnehin nicht zum Reden gekommen, sondern um zuzuhören. Erneut ist es erstaunlich einfach, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Imme Höft ist wie zuvor die Tanzlehrerin geradezu versessen darauf, sich ihre Paul-Flecker-Geschichte von der Seele zureden. Diesmal kommen weder Rosen noch Tango darin vor. Dafür wird gevögelt. Im Gepäckabteil zwischen Fahrrädern und Koffern.
    »Wie lange ist das her?«, fragt Janne so teilnahmslos wie möglich und kaut ausgiebig auf einem Stück Ente, das in ihrem Mund einfach nicht kleiner wird.
    »Vor einem Jahr habe ich die Affäre beendet. Ich hatte Angst um meine Ehe.«
    »Woher wussten Sie eigentlich vom Schlaganfall meines Vaters?«
    »Es kam im Radio. Als über den Mord

Weitere Kostenlose Bücher