Blaufeuer
berichtet wurde.« »Und warum haben Sie Ihre Telefonnummer im Krankenhaus hinterlegt, wenn die Liaison schon lange vorbei war?« »Weil ich ihn liebe«, sagt die schöne Schaffnerin. »Nicht schon wieder«, rutscht es Janne heraus.
In der Klinik gibt sie ihrem Vater einen Kuss auf die Stirn. Es tut gut, nicht mehr wütend auf ihn zu sein, was unter anderem Marits Verdienst ist. Janne hat akzeptiert, dass er nicht der Mann ist, für den sie ihn gehalten hat, sie hasst ihn nicht. Es war naiv, ihm Unfehlbarkeit anzudichten. Sie erzählt von ihren Treffen mit seinen Ex-Geliebten und sagt ihm, dass er Mist gebaut hat, als er ihre Herzen im Sturm eroberte - und hinterher nichts mehr damit anfangen konnte. Sie unterstellt ihm, gedankenlos gehandelt zu haben. Das ist schmeichelhafter als Gleichgültigkeit, und für gleichgültig hält sie ihn nicht.
Sie sitzt lange an seinem Bett, hält seine Hand. Etwas in seinem Gesicht hat sich verändert, er sieht jetzt aus, als würde er zuhören. Sie hat nicht mehr das Gefühl, vor einer Hülle auszuharren. Voller Hoffnung ruft sie seinen Namen. Er reagiert nicht. Sie wird den Ärzten dennoch von ihrem Eindruck berichten, für alle Fälle.
Nach kurzem Zögern spricht sie auch über ihren eigenen Hang zur Untreue. Drei Mal in zehn Jahren hat sie Nils betrogen. Wie oft es kurz davor war, hat sie nicht gezählt. Ihr Ex weiß nichts davon - jedenfalls nicht von ihr. Ob er etwas geahnt hat, kann sie nicht sagen.
»Das habe ich wohl von dir, diesen Tick mit dem Fremdgehen«, murmelt sie, obwohl sie weiß, dass das Unfug ist. Ihr Vater und sie haben eher ein gegensätzliches Problem, das aufs Gleiche hinausläuft: Er lässt sich zu sehr und sie sich zu wenig auf andere Menschen ein.
Während sie ihr Herz ausschüttet, bilden sich Schweißperlen auf Paul Fleckers Stirn. Sie holt einen Waschlappen und benetzt sein Gesicht mit kaltem Wasser. Das tut sie beinahe zärtlich, wobei ihr bewusst wird, dass sie wie eine Voyeurin in seinem Liebesleben herumgestochert und dabei das eigentliche Ziel ihrer Nachforschungen aus den Augen verloren hat.
»Also, Papa, um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine der beiden Frauen vorgehabt hat, dich umzubringen. Wenn überhaupt, dann die Tanzlehrerin. Schließlich wollte sie deinetwegen ihren Mann verlassen und konnte nicht akzeptieren, dass du nichts weiter von ihr wolltest als tanzen lernen. Aber Mord? Sie liebt dich noch immer. Andererseits war sie ziemlich neben der Spur.«
Janne denkt nach. Wie viele Gespielinnen mag es im Leben ihres Vaters noch gegeben haben? Mit Sicherheit mehr, als sie ausfindig machen kann. Seine Art scheint einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Gut möglich, dass ihm irgendeine Frau nach den Leben trachtet. Aber woran soll sie diese eine erkennen?
PAUL
Er hatte ja keine Ahnung. Bevor er Stunden genommen hat, hielt er Gesellschaftstanz unter Nordeuropäern für ein Demütigungsritual, mit dem sich Frauen - am liebsten in Anwesenheit der besten Freundinnen - an ihren Ehemännern für die zahlreichen Enttäuschungen rächen, die der gemeinsame Alltag nun mal so mit sich bringt. Jetzt weiß er es besser. Sicher, Tanzen ist auch Rache, aber eben nicht nur. Tanzen ist ein Versprechen. Und zwar auf alles, was Liebe und Lust bereithalten können, wenn man das Feuer schürt, anstatt nur die Zentralheizung zu bedienen, so wie es in vielen Ehen üblich ist. Leider auch in seiner. Weshalb er einen Teil des Versprechens hin und wieder anderswo einlösen muss. Zuletzt in der Bahn. Unter und auf, neben und hinter Imme Höft. In ihren Armen und zwischen ihren Schenkeln, wo es nach Pfirsichlotion, frischem Schweiß und seinem Samen duftete. Ein Dank an die Polizei, seine Freunde und Helfer, die ihm den Führerschein abgenommen hatten - sonst wäre er nie in einen Zug gestiegen. Und hätte vielleicht die einzige Frau auf der Welt verpasst, die ihren eigenen Körper so zu schätzen weiß, wie er ist. Nichts von wegen: Schau mich dort nicht an. Bin ich hier zu dick? Nimm die Finger da raus und die Zunge da weg. An Haltungsnoten waren sie beide nicht interessiert. Sie war der Grand Canyon, und er war Gott - von Otterndorf bis Himmelpforten.
Die Erinnerung an die Wonne des Samenergusses katapultiert ihn zurück in den Albtraum der Gegenwart. Schlagartig fällt ihm alles wieder ein. Er, Paul Flecker, Sechsundsechzig Jahre alt und fünfundneunzig Kilo schwer, sündigt nicht mehr. Er liegt in einem
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