Blaulicht
war der Fall Moritz Rißmann abgeschlossen worden.
»Die Splitter, die Glassplitter, die überall in seiner Kleidung gefunden wurden. Warum haben Sie die extra aufgeführt?«
Vom Jakobsplatz unten dringen männliche Urschreie hoch in das schattige Büro. Man hört heisere Yiehas , demonstratives Rülpsen und dazwischen das Bellen einer Presslufttröte durch die geöffneten Fenster dringen – eine Stampede von alkoholgeschwängertem Testosteron auf dem Weg zu einem Junggesellenabend vielleicht. Eventuell aber auch nur ein kollektiver Hitzekoller in Kombination mit zu viel Alkohol, was aber auf das Gleiche rausläuft. Oder schon wieder Fußball?
»Das hatte was mit der Menge zu tun, Frau Kandi...?«
»Bitte sagen Sie doch einfach Zoe! – Was meinen Sie mit der Menge?«
»Ich habe in der Kleidung von Moritz Rißmann damals Glassplitter gefunden – jede Menge Glassplitter. Es hatte den Anschein, als wäre er durch eine Scheibe gefallen. Sehen Sie, ein Körper, der eine gewisse Zeit im Wasser treibt, nimmt in der Kleidung immer allerhand mit, das ist vollkommen normal – aber diese hohe Konzentration von Glassplittern hat mich eben doch stutzig gemacht.«
»Haben Sie das den ermittelnden Kollegen damals gesagt?«
»Natürlich. Vor allem Edgar«, sie räuspert sich kurz, »Doktor Häckel, und der hat daraufhin auch noch einmal auf einer gesonderten Untersuchung bestanden.«
Die letzten Worte der Squaw hängen im Raum wie ein Dominantseptakkord, der sich nach Auflösung in der Tonika sehnt. Irgendein klassischer Musiker soll der Legende nach genau deswegen noch einmal aus dem Grab auferstanden sein.
»Und?« fragt Zoe.
»Nichts. Der Fall wurde zu den Akten gelegt, wie Sie wissen. Aber warum gehen Sie nicht einfach einmal zu Dr. Häckel – kennen Sie ihn?«
*
»Rauchen Sie?«
Ivana Simaková, jetzt in verwaschenen Jeans, T-Shirt und Wildlederblouson, hält dem Kalz eine Packung Marlboro hin. Der verzieht das Gesicht.
»Danke. Nein.«
»Nicht?« Sie zündet sich eine Zigarette an. »Das ist schade. Ich finde, Sie sollten rauchen. Ist gut für Nervenkostüm.«
»Wenn Sie meinen. Ich entspanne mich beim Laufen.«
Der beleibte, verschwitzte Mann hinter dem Tresen, dem es sichtlich schwerfällt, sich von dem Eishockeymatch auf dem hoch an der Wand angebrachten Flachbildschirm zu lösen, macht den Eindruck, als habe er sich schon immer in diesem Lokal befunden und niemals die Entwicklungsstadien des Säuglings, Kindes und Jugendlichen durchlaufen müssen.
»Prosím?«
Die Simaková deutet mit Zeige- und Mittelfinger die Zahl zwei an.
»Was haben Sie bestellt?«
»Was soll ich bestellt haben? Zwei Bier. Was sonst?«
Der Wirt zapft.
»Gibt es vielleicht auch alkoholfreies?«
»Natürlich gibt es.« Die Simaková betrachtet ihn interessiert. »Natürlich können Sie bestellen ein Becks alkoholfrei. Steht auf Karte. Aber als Mann in Tschechien, Sie können so etwas nicht bestellen. Das ist für Frauen und Touristen.«
Eine Gruppe von Männern, die um einen Tisch sitzt, redet lautstark aufeinander ein, und in Kalz verdichtet sich die Überzeugung, dass auf Tschechisch alles Wesentliche mit dem Wort tak abgehandelt werden kann.
»Prost, Herr Kollege!« Die Simaková hebt ihr Glas. »Nennen Sie mich ab jetzt Ivana.« Dann setzt sie an und trinkt es auf einen Zug halb leer.
»Martin«, sagt Kalz und nippt.
»Hier werden wir natürlich nicht nach Sandra Kovács recherchieren. Das ist nicht die Art von Lokal, wo sie kann gewesen sein. Aber heute ist harter Tag gewesen. Und die Hitze ist furchtbar. Ist auch so heiß in Nürnberg?«
Kalz wedelt mit dem Bierfilz. Nicht wegen der Hitze, sondern um der Rauchschwaden Herr zu werden, die in seine Richtung ziehen.
»Die Hitze macht mir nichts. Aber der Rauch hier wird mir noch die Kondition für den Marathonlauf am Wochenende versauen.«
Die Simaková denkt nicht daran, ihre Zigarette auszudrücken. Fragt nur: »Schmeckt Ihnen das Bier nicht?«
Kalz’ Glas ist noch fast voll.
»Doch«, behauptet er. »Aber in der Woche vor einem Wettkampf trinke ich keinen Alkohol.«
»Kennen Sie Emil Zatopek?«
»Natürlich. Die tschechische Lokomotive.«
»Wissen Sie, Martin, wie er hat trainiert? Mit schweren Stiefeln von Militär. Und beim Wettkampf sind seine Füße ganz leicht gewesen in den Laufschuhen, und er hat alle Konkurrenten – wie sagt man?«
»Abgehängt«, hilft Kalz aus.
»Abgehängt«, wiederholt sie. »Aber abhängen ist auch so wie
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