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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wenn man sie vorher hören könnte – hinterher fanden wir natürlich heraus, dass dutzende von leeren Branntweinflaschen jede Woche aus dem Haus fortgeschafft wurden! Es war wirklich sehr traurig, denn er war sehr gläubig, obwohl er ein wenig zum Evangelischen hin tendierte. Er und mein Mann hatten einen erbitterten Streit wegen der Gottesdienstordnung an Allerheiligen. Du liebe Güte, Allerheiligen. Wenn ich daran denke, dass gestern Allerseelen war!»
    Ein leises Geräusch ließ Race über Lucillas Kopf hinweg zur offenen Tür blicken. Er hatte Iris schon früher gesehen – in Little Priors. Trotzdem hatte er das Gefühl, als sehe er sie jetzt zum ersten Mal. Ihm fiel ihre außerordentliche Anspannung auf – unter ihrer Ruhe schien es zu brodeln. Ihre großen Augen erwiderten seinen Blick mit einem Ausdruck, den er meinte erkennen zu müssen, aber nicht deuten konnte.
    Nun wandte auch Lucilla den Kopf.
    «Iris, Liebes, ich habe dich gar nicht hereinkommen hören. Du kennst doch Colonel Race? Er war so liebenswürdig, uns zu besuchen!»
    Iris kam herein und reichte ihm ernst die Hand. Ihr schwarzes Kleid ließ sie dünner und blasser erscheinen, als er sie in Erinnerung hatte.
    «Ich kam, um Ihnen meine Hilfe anzubieten», sagte Race.
    «Danke schön. Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen.»
    Sie hatte einen schweren Schock erlitten, das war offensichtlich, und sie litt immer noch an seinen Folgen. Aber hatte sie George so sehr gemocht, dass sein Tod sie derart erschütterte?
    Sie schaute ihre Tante an, und Race bemerkte ihren wachsamen Blick.
    «Worüber habt ihr euch gerade unterhalten?», fragte sie.
    Lucilla errötete verwirrt. Race vermutete, dass sie bemüht war, den Namen des jungen Mannes, Anthony Browne, nicht auszusprechen.
    «Warte mal – », rief sie aus, «o ja, Allerheiligen – und dass gestern Allerseelen war. Allerseelen – das scheint mir derart merkwürdig – einer dieser Zufälle, die man im Leben nicht für möglich hält.»
    «Meinst du, dass Rosemary gestern zurückkam, um George zu holen?», fragte Iris.
    Lucilla stieß einen Schrei aus.
    «Iris, Liebes, wie kannst du so etwas sagen! Was für ein schrecklicher Gedanke – und ganz unchristlich!»
    «Wieso unchristlich? Es ist der Tag der Toten. In Paris habe ich gesehen, wie sie zu den Gräbern gehen und Blumen darauf niederlegen.»
    «Ja, ich weiß, Liebes, aber das sind ja auch Katholiken!»
    Iris’ Lippen verzogen sich zum Ansatz eines Lächelns. Dann sagte sie ohne Umschweife:
    «Ich dachte, ihr würdet vielleicht über Anthony reden – Anthony Browne.»
    «Nun, wir haben ihn tatsächlich gerade eben erwähnt», flötete Lucilla mit ihrer hohen Vogelstimme. «Ich sagte gerade, dass wir so gar nichts über ihn wissen – »
    Iris unterbrach sie mit scharfem Ton:
    «Warum solltest du irgendetwas über ihn wissen?»
    «Nein, Kind, natürlich nicht. Das heißt, eigentlich, ich meine, es wäre doch nett, nicht wahr, wenn es so wäre? Dass wir etwas wüssten, meine ich.»
    «Du wirst noch reichlich Gelegenheit dazu bekommen», sagte Iris, «denn ich werde ihn heiraten.»
    «Aber Iris!»
    Lucillas Stimme klang wie eine Mischung aus Wimmern und Blöken.
    «Du darfst nichts überstürzen – ich meine, momentan kann nichts entschieden werden.»
    «Es ist schon entschieden, Tante Lucilla.»
    «Nein, Liebes, man kann nicht über so etwas wie Hochzeit reden, wenn das Begräbnis noch nicht einmal stattgefunden hat. Das gehört sich nicht. Und diese grässliche gerichtliche Untersuchung und das alles. Und außerdem, Iris, ich denke nicht, dass George seine Einwilligung gegeben hätte. Er mochte diesen Mr Browne nicht.»
    «Nein», sagte Iris, «George hätte es nicht gern gesehen, und er mochte Anthony nicht, aber das tut nichts zur Sache. Es ist mein Leben, nicht das von George – und außerdem ist George tot…»
    Mrs Drake gab ein weiteres Wimmern von sich.
    «Iris, Iris. Was ist in dich gefahren? Wie kannst du nur so etwas Gefühlloses sagen!»
    «Es tut mir Leid, Tante Lucilla.»
    Die Stimme der jungen Frau klang matt.
    «Ich habe es nicht so gemeint. Ich wollte nur sagen, dass George irgendwo Frieden gefunden hat und sich nicht mehr um mich und meine Zukunft sorgen muss. Ich muss selbst entscheiden.»
    «Unsinn, mein Kind, in so einer Zeit kann man nichts entscheiden – es wäre zu ungehörig. Die Frage stellt sich gar nicht.»
    Iris lachte kurz auf.
    «Aber sie hat sich schon gestellt. Anthony bat mich, ihn zu heiraten, bevor wir von

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