Blauwasserleben
einflöÃend. Unser Segel
war mittlerweile nur noch so groà wie ein Taschentuch, um so wenig
Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Eigentlich sah man nur noch Wellen.
Während ich dieses erschreckende Naturschauspiel weiter verfolgte, gab es einen
lauten Knall. Eine schwere Bö hatte die Cockpitplexiglasscheibe aus ihrer
Verankerung gefegt, zum Glück nicht über Bord, sodass wir sie bergen konnten.
Die Wellen waren nicht nur hoch, sie kamen auch steil. Baju glitt mit einer Geschwindigkeit in die Wellentäler,
die einem das Blut aus dem Gesicht trieb. Stefan machte sich einen Spaà daraus,
sich in Surferhaltung mit ausgestreckten Armen an den Mast zu stellen. Unser Blick
auf das GPS -Gerät verriet: Das Boot wurde schneller
und schneller. Zehn Knoten, zwölf Knoten, vierzehn Knoten. Oh Gott, dachte ich
nur. Das Gefährliche am Katamaran ist: Wenn er sich zur Welle quer stellt,
kippt er um. Ein Horrorszenario.
Die meiste Zeit über stand Stefan hinter dem Steuer. Unser Autopilot
»Günther« streikte gern mal. Weder Stefan noch ich konnte etwas essen, selbst
dazu fehlte die Kraft. Wir waren viel zu angespannt. Dennoch sagte Stefan:
»Alles unter Kontrolle. Der Katamaran ist hochseetüchtig, der steckt das weg.«
Wir versuchten krampfhaft, daran zu glauben.
Auch am nächsten Tag riss der Sturm nicht ab. Brachen die Wellen,
veranstalteten sie unter Baju einen Höllenlärm. Für
eine Sekunde verzeichneten wir Topspeed: 19 Knoten. Das war am 3. Juni um 22.33 Uhr.
»Wird es noch heftiger?«, fragte ich angesichts der furchterregenden
Schaumwalzen. Eigentlich eine dumme Frage, da wir keinen SMS -Empfang
hatten und somit auch keine Nachrichten von Simon empfangen konnten â wie
sollte Stefan wissen, was uns noch erwartete?
Er zuckte mit den Schultern. »Mein Gefühl sagt mir, dass das Gröbste
vorbei sein könnte. Die Wellen brechen weniger. Aber genau kann man das nie
wissen.« Sein Gesicht wirkte finster.
Wir sprachen kaum miteinander, der Sturm hatte uns verstummen
lassen. In der kommenden Nacht gab es keinen Mond, der sonst leuchtende
Nachtball war verschwunden, es war stockfinster. In der Schwärze wirkten die
Wellen noch einmal doppelt so hoch wie tagsüber. Ich spürte, wie ich an meine
Grenzen kam. Das war nicht nur unser erster massiver Sturm, es war für so
vieles das erste Mal: das erste Mal nachts segeln, das erste Mal einen gleich
mehrere Tage andauernden Törn. Das erste Mal derart hohe Wellen, als würde man
in einem Fass die Niagarafälle hinuntersausen. Was mache ich eigentlich hier?
Dieser Gedanke tauchte immer wieder in meinem Kopf auf. Alle bislang
getroffenen Segler hatten uns die tollsten Storys aus ihrem Seglerleben
erzählt, aber auf eine solche Situation hatte uns niemand vorbereitet. Einzig
Wolfgang Hausner hatte uns seinerzeit vor den Stürmen gewarnt, die wir
gemeinsam würden meistern müssen.
Ich war den Tränen nahe, wollte nur noch an Land oder wenigstens
Land sehen. Und schlafen, ganz viel schlafen. Vier Nächte hatten wir kaum
Erholung gefunden. Und ich wollte Stille um mich herum haben. Das ständige
Quietschen und Knarren war kaum mehr auszuhalten.
Ob wir Kurs hielten oder nicht, war mir mit einem Mal völlig egal.
Jede Buchung von Chartergästen, über die ich mich immer so gefreut hatte, lieÃ
mich kalt. Ich träumte vom sonnigen Italien â kein Wunder, wir waren gerade auf
»Stiefel«-Höhe. In Kalabrien herrschte bestimmt kein Sturm, da waren
Donnerbrecher etwas Unbekanntes. Und wärmer war es dort sicher auch.
Stefan betrachtete mich skeptisch. Gern hätte ich ihn ermuntert und
tatkräftig unterstützt, aber dazu war ich nicht mehr in der Lage. Er wirkte
ziemlich erschöpft, lieà es sich aber im Gegensatz zu mir nicht anmerken: »Leg
dich hin, Heike, beruhige dich, ich mach das schon drauÃen, bleib du im Salon.«
Als ich aufwachte, fühlte ich mich besser, hatte mich wieder
beruhigt. Der schlimmste Moment war vorbei. Als ich die Kabine verlieà und zu
Stefan ans Steuer trat â drauÃen war es dunkel, die fünfte Nacht war
angebrochen â, sagte er: »Wir schaffenâs nicht nach Malta. Bislang habe ich den
Kurs gehalten. Die Wellen sind zwar weniger prall, doch der Wind ist noch zu
stark, als dass wir uns der Küste nähern könnten.«
Wir sollten schlieÃlich in Syrakus landen, an der
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