Blauwasserleben
aufwachten, konnten wir kaum fassen, was sich uns
da präsentierte. Nebelschwaden zogen langsam über den Dschungel, der
smaragdgrün leuchtete und die Insel wie ein Teppich bedeckte. Der Strand war
mit Palmen gesäumt, dazwischen Hütten in allen erdenklichen Pastellfarben. Eine
Augenweide nach so viel Blau. Alle Klischees, die über die Schönheit der
Karibik existierten, bewahrheiteten sich. Es gab keine gigantischen Supermärkte
oder breite, viel befahrene StraÃen. Dominica war die beste Insel, die man nach
so vielen Tagen auf Wasser hätte anlaufen können.
Die Bucht, in der wir lagen, war groÃ. Um uns herum ankerten
ungefähr fünfzehn andere Boote und Yachten. Viele davon gehörten Freunden und
Bekannten, die wir auf unserer Tour getroffen hatten â Stefan hatte sie
heimlich angefunkt und eingeladen, am 18. Februar zu meinem Geburtstag nach
Dominica zu kommen. Dort würde eine Party steigen. Das lieÃen sich viele nicht
zweimal sagen. Einige segelten von Martinique herbei, andere aus Antigua; die
meisten hatten ja schon früher als wir den Atlantik überquert, weil wir den Abstecher
zu den Kapverden gemacht hatten.
Ich konnte es kaum erwarten, wieder Land zu betreten. Wieder zu
laufen. Erde zu riechen. An manchen Tagen auf dem Atlantik hatte ich mich
gefragt, warum ich mir das alles antat, aber jetzt fragte ich mich, wie
Menschen nur ein ganz gewöhnliches Leben leben konnten.
»Heike, kommst du, ich habe das Dinghi ins Wasser gelassen.« Stefan
rief zum Landgang.
Sofort erhob ich mich aus dem Netz, stellte meine Kaffeetasse weg
und kletterte in unser kleines Beiboot.
»Schwankt bei dir auch alles?«, fragte ich Stefan, als wir die
ersten Schritte an Land machten.
»Ja, nach so vielen Tagen auf See ist das normal.«
Die Geburtstagsparty am Abend war schöner, als ich sie mir hätte
erträumen können: Unter einem Pavillon war ein Büfett angerichtet, es gab
eisgekühlten Rumpunsch â ein lokaler Cocktail aus braunem Rum und
Maracuja-Fruchtsaft â und in Sojasauce, Ingwer und Knoblauch eingelegten Wahoo
vom Grill. Das Lagerfeuer knisterte unter einem groÃen Baum, die untergehende
Sonne lieà die Boote rot und lilafarben aufleuchten, alle Dinghis lagen an
einem Holzsteg. Der Blick war durch Palmenwedel eingerahmt.
Die zurückliegende Atlantiküberquerung war bei allen das groÃe
Thema, besonders das Wetter und die Nachtwachen. Schon während der Zeit im
Mittelmeer hatte es mich irritiert, dass sich die meisten Frauen weigerten,
Nachtwachen zu übernehmen. Die Männer tauschten sich besonders gerne über
technische Schwierigkeiten aus, wie Probleme mit dem Autopiloten und gebrochene
Spinnaker-Bäume, die sie souverän gemeistert hatten.
Ich schmunzelte in mich hinein, denn die klassische Rollenverteilung
praktizierten auch wir auf dem Schiff, und bei anderen Paaren, denen wir
unterwegs begegnet waren, hatte ich kein anderes Modell beobachten können. Der
Mann war der Kapitän, kümmerte sich um die Reparaturen, die Frau putzte und
kochte an Bord. Natürlich half ich bei kleinen Dingen, wie etwa Batteriesäure
messen, Segel flicken, das Unterwasserschiff von Plankton befreien oder
Streicharbeiten ausführen. Reiseroute und Zoll fielen auch jedes Mal in meinen
Aufgabenbereich. Aber damit hatte es sich dann. In der langen Zeit, die wir
bereits unterwegs waren, hatte ich mich nie dagegen aufgelehnt, obwohl unser
Zusammenleben an Land ganz anders ausgesehen und ich eine vergleichbare
Rollenzuweisung nie akzeptiert hätte.
Ganz konnte ich mich mit diesem Automatismus dennoch nicht abfinden.
Immer tiefer hatte ich mich in das Reparaturnachschlagewerk von Nigel Calder
hineingelesen, das den fulminanten Titel Boatownerâs
Mechanical and Electrical Manual: How to Maintain, Repair and Improve Your
Boatâs Essential Systems trug. Ich fühlte mich schon sicher, wenn es
darum ging, eine Winsch zu warten, also jene Seilwinde, mit der wir die Segel
dichtholten. Aber wenn es um den Anlasser oder den AuÃenbordmotor ging, da
überlieà ich gern Stefan die Arbeit.
Aber was, wenn ihm etwas passierte und ich mit Motorproblemen zu
kämpfen hatte? Besser nicht daran denken.
Doch die alte Rollenverteilung hatte auch ihre Vorteile, besonders
dann, wenn man nicht die geringste Lust hatte, LED -Lichterketten
hoch oben im Mast anzubringen oder ständig schwarze Fingernägel durch Ãl
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