Blauwasserleben
SchlieÃlich wurde dieses Riesenvieh so zutraulich, dass sie sich
von Stefan sogar »dressieren« lieÃ. Wir schwammen nicht mehr ihr nach, sondern
sie folgte ihm gemächlich, selbst zum Luftholen kam sie mit ihm an die
Wasseroberfläche.
Eine Stunde dauerte dieses überraschende Erlebnis. Später erst las
ich, dass Seekühe sehr gefährdet sind. Zum einen sind Motorschrauben eine groÃe
Gefahr für sie, weil ihnen Skipper mit ihren Speedbooten, wenn sie übers Wasser
brettern, schwere Verletzungen zufügen können. Manatees müssen zum Einatmen von
Sauerstoff an die Wasseroberfläche kommen und hören die Motoren nicht. Zum anderen
sind viele Meeresregionen derart von Müll und Umweltgiften verseucht, dass sie
in ihnen nicht mehr ausreichend Nahrung finden. Ihre Rückzugsgebiete gehen
ihnen immer mehr verloren.
Auf eine besondere Art von Müll stieÃen wir, als wir kurz darauf
unterwegs zu kleineren Naturschutzinseln im Südosten des Landes waren. Mit neun
Knoten segelten wir ohne Wellengang, da wir uns immer noch hinter dem AuÃenriff
befanden â bis auf einmal eine groÃe Fläche Treibgut auftauchte, gröÃtenteils
organischer Müll, aber auch eine Menge Plastikabfälle.
Kaum hatten wir das Feld erreicht, passierte es: Ein acht Meter
langer und enorm dicker Baumstamm tauchte vor uns auf, und wir schlitterten bei
einem Tiefgang von sechzig Zentimetern über ihn hinweg. Ein ungeheures
Scheppern, Kratzen und Knartzen war zu hören. Das Boot wurde leicht angehoben,
und wir sahen, wie die Ruderblätter hochknickten. Sie waren mit zwei
Holzstangen fixiert, die bei derartigen Vorfällen brechen sollten, um das
Anheben der Blätter zu ermöglichen. Eine geniale Konstruktion. SchlieÃlich
tauchte das Monstrum von Stamm wieder auf â und wir fuhren mit unveränderter
Geschwindigkeit weiter.
Augenblicklich kontrollierten wir, ob etwas Schlimmes geschehen war.
Wir checkten die Bilge vorne, hinten, steuerbord, backbord â kein Wasser im
Rumpf. Nichts. Zum Glück. Erleichtert atmeten wir auf. AuÃer den gebrochenen
Holzstangen in der Ruderanlage schien das Boot keinen Schaden genommen zu
haben. Stefan hatte innerhalb von zwei Minuten zwei neue Sollbruchstücke
abgesägt. Er sprang auf das Ruder, um es während der Fahrt herunterzudrücken,
und schob das Stück Holz in seine Vorrichtung. Was wir erlebt hatten, war der
Albtraum eines jeden Seglers: mit Vollgas eine Kollision. Dazu brauchte man
keinen Baumstamm, ein über Bord gefallener und halb gesunkener Container oder
ein schlafender Wal taten es auch.
Noch eine halbe Stunde segelten wir Slalom durch weitere Müllfelder
und Baumstämme, die teilweise zwanzig Meter lang waren â fast schien es, als
schwämmen hier ganze Wälder.
Der Ranger für die Sapodilla Cayes, die wir am späten Nachmittag
erreichten, bestätigte unsere Vermutung: Dies alles war Treibgut aus dem
Grenzfluss Motagua, der Guatemala von Honduras trennt. Dort hatte eine Woche
zuvor der Tropensturm Agatha gewütet. In den Ländern Guatemala, El Salvador und
Honduras tötete der Sturm rund hundert Menschen, mehr als 100  000 Personen
mussten vor den Wassermassen und Schlammlawinen fliehen â der Notstand war am
30. Mai ausgerufen worden. Und alles, was der Regen mitgerissen hatte, dem
waren wir unterwegs begegnet.
Regen gab es auch immer wieder in den nächsten Wochen. Doch als
Segler konnten wir uns darüber freuen. Wir hatten eine spezielle
Wasserauffanganlage, bei der wir entscheiden konnten, ob wir das Regenwasser
direkt in unseren Wassertank leiten wollten oder nicht. Oft tanzten wir auch
nur im Regen, schrubbten in Badeshorts und Bikini das Deck, duschten ausgiebig.
Dennoch, die Zeichen waren nicht zu übersehen: Die Hurrikanzeit war
angebrochen. Weitersegeln wurde langsam unmöglich. Die nächsten fünf Monate
sollten wir auf dem RÃo Dulce verbringen, dem »SüÃen Fluss«, einem alten
Handelsweg der Maya. »Auf Wiedersehen, Belize«, sagte Stefan. »Guatemala, wir
kommen.« Wir freuten uns auf Mittelamerika.
Warten am RÃo Dulce
Der RÃo Dulce verbindet mit seiner Länge von rund vierzig
Kilometern den gröÃten See in Guatemala, den Izabal-See, mit der karibischen
Küste. Der SüÃwasserfluss ist bekannt als »Hurricane Hole« â da er so weit im
Landesinneren liegt, dass tropische Wirbelstürme
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