Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
verblüfft.
»Rosalee.«
Ich sah in seinem Gesicht, dass er verstand. »Meine Mutter ist auch eine von der harten Sorte. Es ist echt heftig, wenn man dem gerecht werden will. Aber wenigstens ist deine Ma cool. Absolut wert, für sie zu sterben.«
»Sterben«, wiederholte ich und sah zu Bobs totem Körper auf dem Sofa. Seine aufgeschlitzte Nase. Wyatt hatte sie aufgeschlitzt.
Er lächelte mich an, als wüsste er, was ich dachte. »Der Tod ist so nah, dass du ihn riechen kannst, stimmt’s?«
Ich nickte. Ich hatte noch nie so über meinen eigenen Tod nachgedacht. Würde ich auch so stinken, wenn ich irgendwann tot war?
Wyatt schickte eine SMS an die anderen Mortmaine über die, wie er es nannte, Melissa-Sache und was er getan hatte.
»Wirst du auch die Polizei rufen?«
»Sheriff Baker?« Tiefe Verachtung klang aus seiner Stimme. »Baker kümmert sich um Strafzettel und hilft alten Omas über die Straße. Wir kümmern uns um die krassen Sachen. Und manchmal wird es richtig krass, Hanna.«
Er nahm mich an der Hand und, dem Himmel sei Dank, führte mich endlich aus dem Horrorhaus. »Der Tod gehört zu meinem Job. Ich muss ihn austeilen, ihn vermeiden. Es gibt keinen Grund, warum du dich in diese Situation begeben solltest. Nicht einmal für Rosalee.«
Ich atmete tief die frische Luft ein und ließ mir von der Golfbrise die Gänsehaut wegwehen.
Wir gingen zu seinem Wagen und lehnten uns dagegen, sahen uns in dem fahlen Licht des Vordachs an. Die Bäume ächzten im Wind.
»Es gibt einen Grund«, sagte ich ihm. »Rosalee denkt, ich bin so schwach, dass ich jeden Moment tot umfallen könnte. So schwach, dass es einfacher für sie ist, wenn sie so tut, als gäbe es mich gar nicht. Damit kann ich nicht leben.« Schon verrückt, wie einfach es war, im Dunkeln etwas zuzugeben. »Ich muss ihr beweisen, dass sie falsch liegt.«
»Hast du schon mal daran gedacht, dass sie dir beweisen könnte, dass sie recht hat?«, sagte er, und dann schob er wieder seine warme Hand in mein Kleid.
»Weißt du, die meisten Jungs sind mit einem Abschiedskuss nach dem ersten Date zufrieden.«
Er lachte und schüttelte die schwarze Karte, die er von meinem Körper gelöst hatte, wie ein Polaroidfoto. Aber anders als ein Polaroid löste sich die Karte auf und wehte im Wind davon, ganz wie Melissa. »Du hast mir gerade dabei zugesehen, wie ich einem Kerl ins Gesicht gestochen habe. Glaubst du nicht, dass wir über die üblichen Regeln hinaus sind?«
Darüber konnte ich schlecht mit ihm streiten.
»Du hast dich da drin übrigens gut geschlagen. Du bist nicht weggerannt. Du hast nicht mal gekotzt.« Er schien darüber erstaunt zu sein. »Ich werde etwas für dich organisieren.«
»Eine Jagd? Mit den Mortmaine?«
Wyatt machte die Wagentür auf und lächelte im Licht. »Es ist total krass, eine Frem zu sehen, die so heiß aufs Jagen ist.«
Nachdem ich nun schon so einiges von ihm gesehen hatte, nachdem ich ihn vor meinen Augen hatte töten sehen, dachte er, ich sei krass.
Unglaublich.
14
Am folgenden Montag fuhr ich nach der Schule mit dem Fahrrad zum Fountain Square. Mir war alles recht, um Rosalees unerbittliche kalte Schulter zu umgehen, wenigstens so lange, bis ich das Eis mit meinen fabelhaften Heldentaten im Dunklen Park schmelzen könnte.
Fountain Square war in Wirklichkeit viel imposanter als auf der Postkarte, die Rosalee vor vielen Jahren geschickt hatte. Es war ein weitläufiger Platz, umgeben von Gebäuden, die ihn geschützt und geschlossen erscheinen ließen: das Gerichtsgebäude im Norden, die St.-Teresa-Kathedrale im Süden, die Bibliothek im Westen und das Pinkerton Hotel im Osten.
Der Platz wirkte europäisch mit dem grauen Kopfsteinpflaster, den Kolonnaden und den Pulks dunkel gekleideter Porteraner, die in gedrängten Grüppchen herumgeisterten. Ich verstand ihre Herdenmentalität nun besser, ihr Bedürfnis, immer zu mehreren unterwegs zu sein, ihre schwarze Kleidung, durch die sie sich gegenseitig besser identifizieren konnten, ihre Vorsicht Fremden gegenüber – das Leben mit Monstern hatte sie dazu gebracht.
Ich stellte mein Fahrrad an das Geländer beim Gerichtsgebäude und schlängelte mich durch die Menschen. Um den Platz herum gab es verschiedene Stände, die zumeist Eis verkauften, weil es stickig und heiß war. An einem Stand gab es jedoch Barbecue, und der süßliche Fleischgeruch hing schwer in der Luft.
Der Springbrunnen, der dem Platz den Namen gab, befand sich in der Mitte, am Boden eines
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