Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
einer grausamen Stepptanznummer herumzucken. Wyatt zog den Dolch raus und ließ sich neben mich fallen. Der dicke Mann wurde ruhig und rutschte über die Lehne des Sofas.
Dort, wo er gesessen hatte, schimmerte verschwommen der Umriss einer Frau, fast wie ein Fleck. Abgesehen von ihrem riesigen Bauch war sie so hager, dass sie eher aussah wie ein unterernährtes Kind aus einem Entwicklungsland, dessen Leib vom Hunger aufgetrieben war, als nach einer werdenden Mutter.
Melissa starrte an sich herab. Sie war verwirrt darüber, befreit zu sein, aber ihre Verwirrung hielt nicht lange an. Als sie ihren Wirtskörper tot auf dem Sofa liegen sah, schrie sie, und ohne die Einschränkungen des Fleisches verzerrte sich auf unnatürliche Weise ihr dahingehauchtes Gesicht. Sie flog buchstäblich auf uns zu. Ich kauerte mich in eins der widerlichen Kissen.
»Ruhig«, sagte Wyatt und hörte kurz auf, die Klinge seines Dolchs zu säubern, um mein Knie zu tätscheln. »Uns passiert nichts.«
Er hatte recht. Melissa konnte sich uns nur auf ungefähr einen halben Meter nähern, egal, wie sehr sie sich auch abmühte. Der Grund dafür war die Karte, die unter meiner Brust glühte.
Ein schwarzes filigranes Gitter breitete sich von der Karte unter meinem Busen über meiner Haut aus wie ein raffinierter verschnörkelter Käfig. Wyatt wurde von demselben Gitter geschützt.
» Ich kann mein Kind nicht sterben lassen «, schrie Melissa. »Ich muss es ernähren! Bitte!«
Neben mir zählte Wyatt leise. »Elf, zwölf, dreizehn.« Bei dreizehn fing Melissa an auseinanderzufallen. Sie schlang die Arme um ihren Bauch, um bis zuletzt ihr Kind zu beschützen, aber es war umsonst. Immer mehr Stücke von ihr fielen ab und schwebten durch die Luft wie eine Pusteblume, die sich auflöste.
Als Melissas Stücke sich völlig verzogen hatten und das Gitter von unseren Körpern verschwunden war, sprang Wyatt auf und untersuchte die Taschen des dicken Mannes. Er fand seine Brieftasche. Durchsuchte sie.
»Bob Gardineau«, sagte er. »Wohnte in der Oberstadt. Ein Flyer kann runtergenommen werden. Ich muss eine Truppe herholen, um hier aufzuräumen. Willst du helfen?« Er sagte es, als würde er mir Süßigkeiten anbieten, und dann sah er mein Gesicht. »Was?« Er kam zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter. »Musst du kotzen?«
»Musstest du ihn umbringen?«
»Ja.«
Er zögerte nicht. Kein bisschen .
Ich schob seine Hand weg. »Ich meine … er konnte doch nichts dafür, dass er besessen war. Hätte man ihn nicht exorzieren können?«
Wyatt sah zugleich amüsiert und gereizt aus. »Ich bin kein Priester.«
»Hättest du Melissa nicht bitten können zu gehen?«
»Geister gehen nicht einfach so.«
»Aber du hast nicht mal gefragt .« Seine Teilnahmslosigkeit nervte mich langsam. »Du hättest vielleicht etwas mit ihr aushandeln können.«
»Ich verhandle nicht mit dem Bösen«, sagte er großspurig.
»Sie machte sich Sorgen um ihr Baby.«
»Sie hat acht Menschen getötet, um ein Baby zu ernähren, das seit zwei Jahren tot ist. Sie ist nicht unbedingt die Mutter des Jahres.«
»Trotzdem … Bob hat niemanden umgebracht.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte er, und seine selbstgerechte Art entspannte sich etwas. Ich hatte nicht gewusst, wie wichtig es mir war, dass er von seinem hohen Ross herabstieg, bis er mit mir wieder auf Augenhöhe war. Mit mir und Bob.
Ich wusste, wie es war, wenn man keine Kontrolle über seine eigenen Taten hatte. Als ich manisch war, hatte ich so viele Dinge getan, die ich heute bereute. Tante Ulla mit einem Nudelholz eins überzubraten stand am Ende einer sehr langen Liste.
Wyatt setzte sich zu mir und nahm meine Hand. Zog einen Käfer aus meinem Haar. Er sah sanft aus wie ein Baby. »Vielleicht hat Bob es nicht verdient zu sterben, aber er musste. Man muss den Wirtskörper töten, um den Geist nach draußen zu zwingen. Es geht nicht anders.«
»Aber das ist so … unbarmherzig.«
»Ich bin Mortmaine«, verteidigte er sich. »Unbarmherzigkeit ist Teil des Jobs.« Es störte mich, dass er alles so schwarz-weiß sah. Ich war vollkommen anders. Für mich war die Welt irritierend bunt.
»Wenn du dich die ganze Zeit in moralische Zweifel stürzt«, las er meine Gedanken, »dann ist die Jagd vielleicht nichts für dich.«
»Oh nein«, sagte ich schnell. »Was die Jagd angeht, hab ich keine Zweifel. Ich muss jagen.«
»Warum? Willst du mich beeindrucken?«
»Natürlich nicht.«
»Wen dann?«, fragte er
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