Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
eingesunkenen Amphitheaters, das aus helleren grauen Steinen gebaut war. Mindestens hundert Leute sonnten sich auf den flachen, absteigenden Stufen, die hinab zu einem riesigen Wasserstrahl führten.
Wyatt und ich sahen uns fast im selben Moment. Mein lila Kleid zog seinen Blick ebenso effektvoll auf sich wie sein grünes Hemd den meinen. Er saß zusammen mit seinen Freunden auf der obersten Stufe über dem Springbrunnen.
Ich kämpfte mich zu ihm durch, musste aber neben Carmin sitzen, weil Wyatt zwischen Lecy und Petra eingeklemmt war. Die Steine unter mir waren heiß. Ich musste aufpassen, wie ich mich hinsetzte, um meine nackten Beine zu schützen.
Carmin und Lecy diskutierten die Namensliste in dem Notebook auf Carmins Schoß. Ich beugte mich vor, um Wyatts Aufmerksamkeit zu bekommen.
Er sah aus, als freute er sich, mich zu sehen, und wie ich ihn so lächeln sah, schien es mir unmöglich, dass ich am Samstag hatte mit ansehen müssen, wie er jemanden erbarmungslos abgestochen hatte; unmöglich, dass er zugleich Held und Mörder war.
Menschen sind erstaunlich vielschichtig.
»Ich hab dich heute in der Schule vermisst«, sagte ich ihm.
»Ich bin morgen wieder da«, antwortete er. »Die Mortmaine brauchen mich erst am Nachmittag.«
»Wieso kannst du einfach so die Schule sausen lassen?«
Er zuckte nicht wirklich mit den Schultern, er straffte sie nur, wie um mir zu zeigen, wie breit sie waren. »Ich lasse sie nicht sausen, ich müsste eigentlich nicht mal hingehen. Es ist ein Scheißstress, zusätzlich zum Kampf gegen die Mächte des Bösen auch noch Hausaufgaben zu machen. Ich bin der einzige Initiierte, der sich die Mühe macht.«
»Warum machst du sie dir?«
»Dumm sein hasse ich noch mehr als Schule.« Er lächelte mich an. Seine Lippen sahen zum Anbeißen aus. Ich ärgerte mich, dass er mir keinen Gute-Nacht-Kuss gegeben hatte, als er mich am Samstag nach Hause gebracht hatte, aber nachdem er mich vorher schon zweimal befummelt hatte, war ihm das wohl nicht mehr so wichtig gewesen.
»Ich wollte dich anrufen.« Etwas in seiner Stimme machte mir eine Gänsehaut.
»Okay. Samstag war … schön?« Der Teil vor Melissa war es gewesen.
»Ich dachte, du willst nichts von ihm.« Petras Einwurf brachte mich aus dem Konzept. Ich hatte ganz vergessen, dass noch andere Leute um uns herum saßen.
»Ich dachte, er wäre dir zu fies «, sagte Petra und ließ sich so schlaff gegen Wyatts Seite fallen, dass es knirschte – als hätte sie nicht genug Rückgrat, um alleine aufrecht sitzen zu können.
»Er ist fies«, sagte ich und erinnerte mich daran, wie Wyatt seinen Dolch in Bobs Nase gestoßen hatte. »Zum Teil. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie vielschichtig Menschen sein können. Wie Gut und Böse sich vermischen können und wie sich daraus viele komplizierte Schichten entwickeln.«
» Qué una Klugscheißerin«, sagte Petra. Ihr breiter Akzent ließ das Spanische merkwürdig klingen.
»Aber echt«, stimmte Lecy ihr zu. Sie musterte mich aufmerksam. Ein Kranz aus orangefarbenen Feuerlilien schmückte ihr Haar. »Du bist viel zu blond, um so schlau zu sein.«
»Die Sonne verändert mein Haar.« Ich zog meinen spiralförmigen Pferdeschwanz über meine Schulter, damit sie ihn sich genau ansehen konnte. »An manchen Tagen sieht es blond aus, an anderen rot, aber eigentlich ist es braun.« Ich blickte finster in die Sonne. »Ein sehr verwirrendes Phänomen.«
» Was für eine Klugscheißerin.«
Wyatt stupste Petra in die Seite. »Du bist genauso eine Klugscheißerin wie sie, Miss Bester Abschluss. Wie kann das eine Beleidigung sein?«
»Ich würde Hanna nie beleidigen«, sagte Petra und tat so, als sei sie zutiefst verletzt. »Ich kenne sie ja kaum.«
Ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren, egal was, nur um den beiden nicht dabei zusehen zu müssen, wie sie sich wie ein altes Ehepaar gegenseitig aufzogen. Also schielte ich auf Carmins Liste. »Wozu ist die?«
Carmin machte einen Riesenwirbel und zog an seiner Krawatte herum, als wollte er sich damit erdrosseln. »Ich versuche klarzumachen, wen ich zu meiner Geburtstagsparty einlade. Aber das ist unmöglich. Woher kenn ich nur so viele Leute?«, fragte er mich, als wüsste ich die Antwort.
Da ich ihm nichts antworten konnte, stellte ich ihm lieber eine Frage: »Warum steh ich nicht auf der Liste?«
Er sah mich nachdenklich an. Seine Augen hatten fast denselben kobaltblauen Ton wie seine Brillengläser. »Nun, schließlich hast du diesen
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