Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
zu kompliziert, und ich trage nichts, das ich nicht selbst gemacht habe. Und das sind nun wirklich keine Stilettos.« Ich hob meine Beine, um die Absätze aneinanderzuschlagen. »Ich könnte eine Meile in diesen Stiefeln laufen.«
Er knallte fast gegen den Bordstein, weil er auf meine Beine starrte. Dann wurde er ganz ernst und heftete die Augen wieder auf die Straße. »Aber kannst du darin kämpfen?«
»Warum nicht? Es ist leichter, in einem Kleid vorsichtig zu sein. Das muss man, oder man steht am Ende in Unterwäsche da oder zerreißt sich den schönen Stoff. Kleider zwingen einen aufzupassen.«
Er riskierte einen Blick in meine Richtung. Seine Augen zwinkerten. »Du bist wirklich schräg. Komm her.«
»Sehr gern.« Ich freute mich wirklich. Es machte Spaß, mit Wyatts Freunden rumzuhängen, sogar mit Petra, wenn sie ihr blödes Mundwerk hielt. Aber mit Wyatt war es noch anders. Er verstand mich. Bei ihm konnte ich einfach nur ich selbst sein.
Er entzog sich lachend meinen Küssen. »Hör auf, sonst landen wir noch im Straßengraben.« Ich stahl ihm trotzdem noch ein paar Küsse, und Wyatt, ein erfahrener Fahrer, schaffte es irgendwie, den Wagen nicht zu schrotten.
Wyatt fuhr zur Avispa Lane und hielt auf dem Parkplatz der St.-Michael-Kirche, einem verwitterten, gotisch anmutenden Gebäude, das mutig im Schatten eines großen, hügeligen Waldes kauerte, dessen riesige alte Bäume wild durcheinander wuchsen. Die grünen Baumkronen schienen den Herbst zu verspotten.
Ich ging um den Wagen herum zu Wyatt und starrte auf die verschlungene weite Fläche von Nadelbäumen. »Ist das der Dunkle Park?«
Er nickte grimmig.
»Sieht doch gar nicht so schlimm aus.«
»Du weißt nichts darüber«, sagte er fast schon mitleidig. Wir setzten uns Händchen haltend auf die Kirchentreppe, in das warme, schwächer werdende Sonnenlicht. Rotkardinäle pfiffen im Chor auf dem Dachvorsprung der Kirche.
»Vor langer Zeit habe ich mich an Ostern in einem Wald in Finnland verlaufen. Ich war fünf oder sechs. Es war eiskalt, und es lag hoher Schnee. Ich dachte, eine echte Hexe hätte mich verflucht, damit ich mich verlaufe, um mich dafür zu bestrafen, dass ich so getan hatte, als sei ich eine von ihnen. Ich bin mir also durchaus bewusst darüber, wie gefährlich ein Wald sein kann. Wie irreführend.«
»Warum hast du so getan, als wärst du eine Hexe?«
Ich zuckte die Schultern. »Es war Ostern.«
Wyatt kippte vor Lachen um. »Ihr Finnen verkleidet euch an Ostern als Hexen? Ich kann mich an keine Stelle in der Bibel erinnern, wo irgendjemand so was tut.«
Ich entriss ihm meine Hand. »Ich lache nicht über deine blöde Kultur. Du und deine Türen und Schlüssel.«
»Komm schon.« Er küsste mein Ohr. »Ich habe nicht gesagt, dass es blöd ist. Was weiß ich denn schon. Vielleicht gab es wirklich Hexen und Kobolde im Pessah.«
»Kobolde? Wer hat denn was von …«
Shoko erschien aus dem Nichts und warf meine Gedanken aus der Bahn. Erst noch ein ungestörter Blick auf den Parkplatz, und als Nächstes Shoko ganz in Grün, die ihr langes schwarzes Haar über die Schultern warf und auf uns zukam. »Ich bin da.«
»Wie …«
»Nur noch mehr von unserer blöden Kultur.« Wyatt tätschelte mein Knie auf diese herablassende Art, die er mit Sicherheit unfassbar lustig fand.
»Kannst du das auch?«, fragte ich und war darauf gefasst, beeindruckt zu werden.
»Noch nicht«, sagte Shoko. Sie war so groß und eindrucksvoll, wie ich sie in Erinnerung hatte. »Wir müssen es ihm noch beibringen. Und dann müssen wir ihm noch beibringen, keine Zivilisten in die Schusslinie zu bringen.«
Und genauso gemein.
»Ach komm schon, Shoko. Du warst doch immer cool. Mich hast du auch mit zur Jagd genommen, bevor ich auch nur initiiert war.«
»Na, offensichtlich hab ich dir einige schlechte Angewohnheiten beigebracht«, sagte sie und warf mir einen bösen Blick zu. »Bringen wir’s hinter uns, bevor ich’s mir anders überlege.« Sie ging über die Avispa Lane und wurde von den großen Kiefern verschluckt.
»Wie kann sie denn einfach so auftauchen und verschwinden?«
»Das tut sie nicht. Sie benutzt die versteckten Türen.« Wyatt wedelte mit der Hand, als ich etwas sagen wollte. »Lass dich davon nicht ablenken. Die Sonne ist fast weg. Gleich kommen die Hartköpfe.«
»Hartköpfe?«
Er küsste mich. Es prickelte, als hätte ich eine Steckdose geküsst. »Wirst schon sehen.«
Als wir in den Wald kamen, wurde er ganz geschäftig. Er
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