Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
in seinem vanillefarbenen Anzug. Die violette Krawatte spiegelte sich in seinen grauen Augen, sodass sie aussahen, als wären sie verletzt, als täte es ihm buchstäblich weh, mich anzusehen.
Als ich mein Gesicht an seiner Brust vergraben wollte, wie ich es immer getan hatte, wenn ich mich schlecht gefühlt hatte, zog er ein Messer aus seiner Jacke und hielt es zwischen uns, hielt die Klinge vor mein Gesicht.
» Ich hätte es getan«, sagte er, und ich weinte noch mehr.
»Du kannst es immer noch tun«, sagte ich und versuchte, gleichzeitig zu sprechen und zu schluchzen. Ich hatte nicht einmal mein Taschentuch. Ich hatte es verloren, als ich mich in Wyatts Badezimmer ausgezogen hatte. »Es ist mir egal.«
»Du musst es tun, dann können wir zusammen sein.«
Ich nahm das Messer, blinzelte beim Anblick der grell leuchtenden Klinge … und dann biss mir Schwänin in die Hand.
»Au!« Ich ließ das Messer fallen. Bevor es auf den Boden traf, schoss Schwänins langer Hals vor. Sie verschluckte es. Dann hob sie die Flügel, stürzte sich mit wütendem Geschrei auf Poppa und kratzte ihn mit ihren scharfen, schwarzen Fängen.
Poppa schrie auf in erstauntem Schmerz. Schwänin war ein Schwergewicht in seinem Gesicht, zwang ihn in die Knie. Sie kratzte das meiste von Poppas linker Seite auf, seine Wange, seine Schläfe, sein Haar und seine Kopfhaut. Die herausgekratzten Stücke fielen wie Konfetti auf den Boden und schmolzen weg. Es erinnerte mich an Melissa.
Aber Poppa war nicht wie Melissa. Er war kein Bösewicht, nichts, was man austreiben musste.
»Stopp!«, schrie ich und versuchte, Schwänin wegzuscheuchen. »Bitte, vertreib ihn nicht. Er ist alles, was ich habe. Er wird so was nicht mehr sagen.« Ich sah Poppa an, der auf dem Boden kniete. Die Hälfte seines Gesichts war fast verschwunden. »Wirst du doch nicht?«
Das letzte Mal, dass ich Poppa so niedergeschlagen gesehen hatte, war in den letzten Tagen im Sommerhaus, bevor der Knochenkrebs ihn mir wegnahm. »Ich werde sie nicht mehr fragen«, sagte er. »Bitte hör auf.«
Schwänin hörte auf, landete schwer auf dem Boden zwischen Poppa und mir.
Poppa schleppte sich zu dem Sessel neben der Stehlampe und nahm sein zerfetztes Gesicht in die Hände.
Ich wäre zu ihm gegangen, aber Schwänin scheuchte mich nach oben und piekte mit ihrem Schnabel in meine Kniekehlen, damit ich mich auch bewegte. Aber als ich in meinem Zimmer war, sprach Poppa in meinem Kopf zu mir, ganz privat.
Du bist auch alles, was ich noch habe.
Ich blieb für den Rest der Nacht wach und vermisste meine Eltern, die beide für mich auf unterschiedliche Art tot waren. Schwänin flog in langsamen, wachsamen Kreisen über meinem Bett, aber sosehr ich sie auch liebte, konnte ich nicht anders als mir zu wünschen, ich sei auch tot.
18
Den Rest der Woche verbrachte ich wach und deprimiert. Ich hatte weder Lust zu essen, noch zu schlafen, also tat ich es nicht – Rosalee hatte ohnehin aufgehört, für mich zu kochen, also war es einfach, nicht zu essen. Wie üblich trat ich den Depressionen mit unermüdlicher Beschäftigung entgegen. Ich machte so viele Hausaufgaben, dass ich damit die nächsten zwei Lerneinheiten all meiner Kurse abdeckte, und ich nähte zwei neue Kleider, und das alles in nur zwei Tagen. Schon erstaunlich, was man alles fertigbringt, wenn man keine Zeit für Schlaf verwenden muss.
Wyatt hellte meine niedergeschlagene Stimmung am Freitag auf, als er in der Schule auftauchte, was selten genug vorkam. Es war das erste Mal, dass wir uns sahen, seit wir zusammen geduscht hatten. Die Mortmaine trainierten mit ihm bis zur Erschöpfung, erzählte er mir, aber er hatte am Sonntag Zeit zum Jagen. Er sagte, alles sei vorbereitet.
Als Wyatt mich am Sonntag bei Sonnenuntergang abholte, war ich nicht mehr deprimiert, nur schrecklich aufgeregt und begeistert. Wenn ich erst einmal zweifelsfrei bewiesen hatte, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte, würde Rosalee aufhören, mich zu hassen – das reichte, um die Stimmung zu heben.
»Darin willst du jagen gehen?«, fragte Wyatt und fuhr aus der Auffahrt. »In Kleid und Stöckelschuhen?«
Ich trug ein rückenfreies auberginefarbenes Kleid und passende kniehohe Schnürstiefel. Ich hatte etwas Dunkles tragen wollen, und Aubergine war das Einzige in meinem Schrank, das in die Nähe von Schwarz kam.
»Was soll ich denn tragen?«, fragte ich.
»T-Shirt. Jeans, Stiefel ohne Absätze.« Er beschrieb seine eigene Kleidung.
»Jeans sind viel
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