Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
hört mal besser auf zu klatschen und achtet auf eure Milchshakes«, rief er. »Ein Milchwurm ist hier!«
Sofort verebbte der Spott, und die Gäste untersuchten ihr Essen.
Ich sah Wyatt verwundert an. »Was ist ein Milchwurm?«
»Ein Parasit«, sagte er ruhig, »der Kalzium mag. Die Sorte in der Milch, aber besonders die Sorte in deinen Knochen. Glaub mir, du willst keinen von denen verschlucken. Du musst vorsichtig sein, wenn du Milch trinkst oder etwas isst, das aus Milch gemacht ist.«
»Erst soll ich keinen Kaffee mehr trinken, und jetzt auch keine Milch mehr?«
»Du sollst damit ja nicht aufhören«, sagte Wyatt. »Milchwürmern kann man leicht aus dem Weg gehen. Wenn dein Essen oder dein Getränk aussieht, als würde es kochen oder blubbern, schmeiß es weg.«
Wir hatten nur Ceviche und Slushies auf unserem Tisch, abgesehen davon, dass ich hier mit dem scharfsichtigen Wyatt saß. Also machte ich mir keine Sorgen.
»Sag, was wolltest du dir wünschen?« Scharfsichtig und hartnäckig. Aber ich konnte ihm nicht erzählen, dass ich seiner Heldin den Kopf eingeschlagen hatte.
Durch Wyatts nervige Hartnäckigkeit wurde ich verrückterweise ganz unbekümmert. Ich konnte ihm nichts über Rosalee sagen, aber über mich . Als Tell Him aus der Jukebox kam, sah ich es als Zeichen.
»Hanna?«
»Ich bin manisch-depressiv, und manchmal, wenn ich mich sehr aufrege, bekomme ich Halluzinationen.«
» Was ?«
Wollte er wirklich, dass ich es wiederholte?
»Du halluzinierst?«, sagte er, als wollte er mich testen. »Du meinst, du denkst nur, dass du Dinge siehst? Wie deinen toten Vater?«
»Nein, den sehe ich wirklich. Er hat mir von dem Wünschen und dem SCHLÜSSEL erzählt und von der Rutenhirse. Poppa war nur eine Halluzination, bevor ich hergezogen bin. Deshalb hat mich Tante Ulla zum ersten Mal in die Psychiatrie gesteckt. Ich habe den Leuten erzählt dass er nicht tot ist, weil ich immer noch mit ihm reden konnte. Also haben sie mich eingesperrt.«
»Verdammt, Hanna.« Er sah verblüfft aus. »In ein Irrenhaus? Wie war’s da? Haben sie dich in eine Zwangsjacke gesteckt?«
»So ist das nur in Filmen. Ich war das erste Mal einen Monat dort, und das Schlimmste, was passiert ist, war ein Kind, das einen Wutanfall bekam, weil eine Biene in unserem Stockwerk war. Dieses Kind mochte keine Bienen.« Ich trank von meinem Slushie. »Es ist ein bisschen wie im Kindergarten. Außer, dass Kindergartenkinder ins Bad dürfen, ohne von einem Erwachsenen beaufsichtigt zu werden.«
»Also ist es gar nicht so schlimm?«
»Es ist furchtbar! Sie sagen dir, wo du essen sollst, wann du schlafen sollst, wann du baden kannst, was du darfst und was nicht. Sie sagen dir sogar, wie du dich fühlst, als ob sie das wüssten. Sie raten einfach nur. Meistens raten sie falsch. Weißt du, wie viele Fehldiagnosen ich hatte, bevor sie endlich rausfanden, was wirklich mit mir nicht stimmte? Aber Tante Ulla war es egal, wie unfähig die Ärzte waren. Ihr war jede Entschuldigung recht, um mich dorthin zurückzuschicken.«
»Warum?«
»Weil sie mich hasst. Und weil …« Die alte Bitterkeit war gezwungen, ein Stück rüberzurutschen und Platz zu machen für Wut. »Manchmal denke ich, es geht mir gut, und dann höre ich auf, meine Tabletten zu nehmen. Und wenn ich sie nicht mehr nehme, mache ich vielleicht schlimme Sachen.«
»Zum Beispiel?«
Eine Reihe krimineller und unmoralischer Taten regte sich in meiner Erinnerung. Es waren so viele, dass ich selbst über mich staunte. Ich hatte ein geschäftiges Jahr hinter mir.
»Was?«
Ich lächelte Wyatt an. »Ich will nicht, dass dir der Kopf platzt …«
»Ach, komm schon.«
»… aber das Letzte, weswegen Tante Ulla ausgerastet ist, war gar nicht mal so schlimm. Vor ein oder zwei Monaten hab ich beschlossen, Lila zu tragen, zum Gedenken an meinen Vater. Lila war seine Lieblingsfarbe. Also musste ich mir lila Stoff kaufen. Ich nahm mir Tante Ullas Kreditkarte und kaufte lila Zeug für fünftausend Dollar. Als sie die Rechnung bekam, drehte sie durch und versuchte, mich zurück in die Anstalt zu schicken. Für immer.«
»Was hast du gemacht?«
»Ich riss aus und ging zu Rosalee«, sagte ich und ließ den Teil mit dem Nudelholz unter den Tisch fallen. Er musste nicht alles wissen. »Ich dachte mir, das Leben in einer Kleinstadt wäre bestimmt ruhig und erholsam.«
Darüber lachten wir und saßen dann eine Weile in friedlicher Stille zusammen. Mich beruhigte diese Stille. Es tat mir gut, meine
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