Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
einige.«
»Dieser Schlangenmann mit dem Jaguar. Der, der dich so gerne schlägt.«
Sie legte den Kopf zur Seite und tat so, als würde sie darüber nachdenken. »Der, dem ich die Eier zerquetscht hab?«
»Vielleicht ist er’s auch nicht«, lenkte ich ein und zog den lila Stuhl hervor … und ließ fast meine Milch auf den Boden fallen. »Du hast einen neuen Stuhl gekauft! Für mich!«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Du bist nicht sehr aufmerksam, oder?«
Also war es absolut richtig gewesen, auf diese Jagd zu gehen. Sie hatte den ersten Schock überwunden, mich blutverschmiert zu sehen, und jetzt hatte sie verstanden, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte. Sie hatte mich akzeptiert. Der Stuhl bewies es.
Ich setzte mich auf den strahlend lilafarbenen Stuhl, der fast perfekt zu meinem Kleid passte. Perfekt, perfekt, perfekt. Nie hatte es sich schöner angefühlt zu sitzen.
»Was hast du heute auf?«
»Geometrie«, sagte ich.
»Das Einzige, was ich in der Schule gut konnte, waren Mathe und Sprachen. Da gab es feste Regeln, denen man folgte. Ende. Man musste nie seine Meinung zum Thema Quadratische Funktionen sagen.«
»Ich weiß. Mein alter Englischlehrer fragte mich mal, warum es so wichtig sei, dass Jago in Othello ohne Motiv handelt. Und ich dachte: Wer hat denn gesagt, dass das wichtig ist? Es ist so willkürlich.«
»Joosef liebte Shakespeare. Jedes seiner Stücke. Er war verrückt nach Theater. Ich hasse den ganzen Kram.«
»Hatten Poppa und du irgendwelche Gemeinsamkeiten?«
»Wie sahen beide gut aus.« Sie kaute nachdenklich auf einer Peperoni herum. »Ich fand ihn wunderschön. Ich habe immer Fotos von ihm gemacht. Willst du sie sehen?«
» Da fragst du noch ?«
Rosalee lief aus der Küche und kam schnell mit einem Schuhkarton von Candies zurück. Der Karton war voller Fotos. Sie warf ihn mir zu und ging dann zurück auf ihren Posten am Schneidebrett.
Ich sah mir die Bilder an: Poppa jung und dünn und halbnackt am Strand, das Haar von der Sonne fast weiß gebleicht; in einem lila Pullover mit weißem Atem, der aus seinem lachenden Mund kam; auf einer Fähre, die Augen so grau wie das Meer.
Ich strich mit meinen Fingerspitzen über die Bilder, über Poppas Gesicht. »Warum gibt es keine mit euch beiden zusammen?«
»Wir waren nicht zusammen«, sagte Rosalee so heftig, dass ich für eine Weile zu eingeschüchtert war, um etwas zu sagen. Aber eine Frage musste sie mir zugestehen, eine, die ich schon immer stellen wollte.
»Warum hast du mich nicht abgetrieben?«
»Ich wusste, dass Joosef dich wollte. Das war das Wenigste, was ich für ihn tun konnte. Er war … nett.«
»Er hat dich geliebt.«
»Das tun viele Männer«, sagte sie nüchtern. »Die Fähigkeit zu faszinieren liegt bei uns in der Familie.«
»Konnte deine Mutter auch so faszinieren?«, fragte ich sie, während sie anmutig im Suppentopf rührte.
»Oh, ja. Daddy ließ sie nicht aus dem Haus, es sei denn, er war mit dabei. Das ist kein Witz. Als ich in die Pubertät kam, ließ er mich auch nicht raus. Ich musste mich rausstehlen. Ich war nicht gerade eine gute Tochter.« Sie schlug den Handrücken auf ihre Lippen, als wollte sie die Worte wieder zurück in ihren Mund drücken.
»Das heißt aber nicht, dass du keine gute Mutter sein kannst.« Ihre Traurigkeit lastete schwer auf mir, aber ich kam nicht mal mit meinen eigenen Problemen zurecht, ganz zu schweigen von ihren. »Du kannst eine sein.«
»Nett, dass du so denkst.« Sie ließ ihre Hand sinken. Ihre Lippen waren ganz rot vom Druck ihrer Hand. »Offensichtlich hast du die Wette gewonnen. Du kannst bleiben. Ich weiß, dass du das schon weißt, aber es musste auch mal gesagt werden.«
Es wäre nicht sehr damenhaft gewesen zu jauchzen, also hopste ich ein wenig auf meinem Stuhl herum.
»Du scheinst mir ein süßes Mädchen zu sein, aber aus süß wird in dieser Stadt verdammt schnell sauer. Warum du so sauer werden willst wie der Rest von uns Porteranern, werde ich wohl nie verstehen, aber … was ist so lustig?«
»Wann hast du gemerkt, dass ich süß bin: bevor oder nachdem ich dich mit der Lampe geschlagen habe?«
Sie verzog das Gesicht. »Hey, bevor ich’s vergesse – wenn du hier bleibst, brauchst du einen Therapeuten.«
Ich hörte auf zu hopsen. »Warum?«
»Weil meines Wissens manische Depressionen nicht einfach so von selbst weggehen. Du brauchst eine Therapie.«
»Therapeuten wissen gar nichts. Sie wissen nicht mal, welche Sorte Wahnsinn ich habe.
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