Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Kirschen. »Momma?«
Und so starrte ich in ihre eigenen, glänzend schwarzen Augen und konnte nicht fassen, dass diese Märchenlist gewirkt hatte.
»Was?«, murmelte sie, bevor sie wieder einschlief.
Ich war so erleichtert darüber, dass sie nicht im Koma lag, so erleichtert, ihre Stimme zu hören, dass ich neben ihrem Bett auf die Knie fiel und weinte.
Durch das Weinen fühlte ich mich ausgelaugt und müde, aber ich konnte nicht schlafen. Ich wusste, dass man jemanden mit einer möglichen Gehirnerschütterung nicht einschlafen lassen durfte, weil man sonst ein Koma riskierte. Ich würde die ganze Nacht über Rosalee wachen und sie regelmäßig wecken müssen.
Aber wenigstens war sie lebendig und konnte geweckt werden.
Ich schüttelte ihre Schulter. »Momma?«
»Was?«, brummte sie und rollte sich von mir weg auf die Seite.
Ich strich über ihr schwarzes Haar, das sich über das Kissen kräuselte. Ihre Locken waren weicher als meine, als bürstete sie ihr Haar öfter als ich, als machte es ihr nichts aus, gegen unser Inselmädchengewirr zu kämpfen.
»Momma.« Aber ich sagte es nicht so laut, dass sie es hören konnte.
Ich sagte es nur einfach gerne.
Als ich die Augen aufschlug, war Rosalee nicht mehr im Bett, und es war sieben Uhr am Morgen. Ich stand von dem harten Boden auf, rieb meinen verspannten Hals und ging in die Küche, wo Rosalee Frühstück machte. Mit ihrer roten Schütze sah sie fröhlich und wach und wie eine Bilderbuchmutter aus. Sie sah von dem kochenden Topf auf und musterte mich. »Hunger?«
Ich musste dem Drang widerstehen, über meine Schulter zu sehen. Ich konnte nicht glauben, dass sie mit mir sprach. »Ja.«
»Geh duschen und zieh dich an. Frühstück ist fertig, sobald du fertig bist.«
Ich wollte nicht weggehen, weil ich Angst hatte, das alles sei nur ein Traum, und wenn ich auch nur blinzelte, würde sich Rosalee wieder in die mürrische, schweigsame Person von gestern verwandeln.
»Geh schon!« Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch, also ging ich.
Ich duschte und zog mich in Rekordzeit an, dann ging ich zurück in die Küche. Rosalee stellte einen vollen Teller vor mir ab und setzte sich auch an den Tisch. Sie saß auf dem roten Stuhl, aber für mich hatte sie einen Gartenstuhl reingebracht.
»Geht’s dir gut?«, fragte ich.
Sie schob ihr schattendunkles Haar aus dem Gesicht, damit ich sie sehen konnte. »Was denkst du?«
Ich fand, dass sie großartig aussah. Die Mattheit von gestern Nacht hatte sich gelöst, und sie war so strahlend und sprudelnd wie Ginger Ale.
»Fertig für die Schule?«, fragte sie. »Wenn du nicht gehen willst, kein Problem. Ich weiß, dass du eine sehr lange Nacht hattest.«
Ich hatte sie alle dreißig Minuten geweckt, bis ich selbst um sechs Uhr eingeschlafen war, vor gerade mal einer Stunde. Aber meine fortgesetzte Schlaflosigkeit hielt mich aufrecht.
»Mir geht’s gut.« Plötzlich fiel mir etwas ein. »Wo hast du den Kopf von gestern Nacht hingetan?«
»Unter dem Amberbaum begraben«, sagte sie, als würde sie so etwas mindestens einmal pro Woche machen. Sie goss mir ein Glas Milch ein. »Ich bin überrascht, dass du geblieben bist. Nachdem du deine Tante niedergeschlagen hast, bist du weggerannt.«
»Wo hätte ich denn hinrennen sollen?«
»Zurück zu ihr.«
»Zum letzten Mal: Sie will mich nicht.«
»Bist du sicher?«, sagte Rosalee und reichte mir einen cremefarbenen Umschlag. »Der war gestern in der Post.«
Er war von Tante Ulla. Ich las den Brief, lachte, und meine Muskeln entspannten sich. »Sie will nur wissen, ob ich immer noch mit ihr an Weihnachten nach Helsinki fahren will.«
»Willst du?«
»Natürlich.«
Rosalee starrte mich ungläubig an. »Ich dachte, ihr hasst euch.«
»Tun wir auch, aber das ist kein Grund, sich Weihnachten zu vermiesen. Wenn du willst, kannst du auch mitkommen.«
»Was ich nicht alles tun könnte.« Rosalee stach mit ihrer Gabel in Richtung meines Tellers. »Warum isst du nicht?«
Ich betrachtete das Essen: Würstchen, Gebäck, weißes Zeug.
Ich probierte das weiße Zeug zuerst. »Was ist das?«
»Maisgrütze.« Sie schüttelte traurig den Kopf, als sie mein verständnisloses Gesicht sah. »War ja klar, dass du Maisgrütze nicht kennst. Dann muss ich dir deine Herkunft offenbar löffelweise näherbringen. Sozusagen.«
»Ah«, sagte ich und verstand. »Es ist so was Schwarzes.«
»Mhm.« Rosalee nippte an ihrem Kaffee. »Nächste Woche zeig ich dir, wie du dir die richtigen Zöpfchen
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