Bleib bei mir, Gabriella
Nähe. Ich war bei ihm, nachdem ich im letzten Jahr bei einer Modenschau hingefallen war. Ich rufe ihn an. Wir lassen deine Mutter röntgen.“
„Bist du verrückt? Welcher Arzt öffnet abends um elf seine Praxis?“
„Er wird es tun, Rafe. Als Gefallen für die McCords. Sag deiner Mutter, dass wir sie abholen.“
„Wir?“
„Ja, wir. Ich komme mit. Inkognito. Wie ich dich kenne, willst du weder mich noch deine Mutter allein lassen.“
Sie sah, wie in seinen Augen etwas aufflackerte. Etwas Schmerzhaftes. Aber jetzt war keine Zeit, ihn danach zu fragen. „Wenn du dafür sorgst, dass niemand uns folgt, gibt es kein Problem.“
Rafe erzählte seiner Mutter von Gabbys Vorschlag. Sie protestierte noch immer, als er ihr versprach, dass er sie in spätestens fünfundvierzig Minuten abholen würde, und einfach auflegte.
„Wenn du den Arzt nicht erreichst, bringe ich sie ins Krankenhaus“, sagte er.
„Ich rufe ihn an.“ Gabby eilte hinein und suchte Dr. Christophers Nummer heraus. Sie tat gern etwas für andere Menschen. Sehr gern sogar.
Und für sie und Rafe?
Auf der Fahrt zur Praxis des Orthopäden warf Rafes Mutter ihrem Sohn wieder erstaunte Blicke zu, denn um mögliche Verfolger abzuschütteln, bog er mehrmals überraschend ab und nahm einen Umweg. Wie der Arzt es vorgeschlagen hatte, betraten sie die Praxis durch die Hintertür. Er war ein älterer Mann mit weißem Haar und lächelte Lena beruhigend zu. Nach der Untersuchung saßen sie, Rafe und Gabby vor dem Schreibtisch.
„Zum Glück haben Sie sich nichts gebrochen, aber Sie haben sich den Knöchel verstaucht. Sie bekommen gleich einen Tapeverband, damit das Gelenk nicht weiter anschwillt. Ich möchte, dass Sie es jede Stunde fünfzehn Minuten lang kühlen. Aber vor allem dürfen Sie den Fuß nicht belasten.“
„Das geht nicht“, protestierte Lena. „Ich lebe allein. Außerdem habe ich einen Job und …“
„Sie wollen doch so schnell wie möglich wieder gesund werden, oder?“, unterbrach Gabby sie sanft.
„Natürlich, aber …“
„Rafe kann heute Nacht bei Ihnen bleiben. Ich komme zurecht.“
„Nein“, sagte Rafe nur.
Gabby sah ihm an, dass Widerspruch zwecklos war; deshalb ließ sie sich eine andere Lösung einfallen. Sie legte Lena eine Hand auf den Arm. „Rafe bewohnt das Zimmer neben meiner Suite. Sie können dort übernachten. Er schläft auf meiner Couch. Das hat er anfangs auch getan.“
„Aber das Hotel, in dem Sie wohnen, kostet bestimmt schrecklich viel!“
„Das Zimmer ist bereits bezahlt. Morgen früh bestelle ich Ihnen, was immer Sie zum Frühstück möchten. Und vielleicht bekommen Sie auch noch eine Maniküre.“
Lea strahlte. „Eine Maniküre? Die hatte ich seit Jahren nicht mehr. Julie hat mir mal eine zum Geburtstag geschenkt.“
„Na, dann ist das jetzt Ihre zweite Chance.“
„Du kannst noch nicht nach Hause zurück, Mom“, mischte Rafe sich ein. „Die Dusche ist oben, dein Schlafzimmer auch. Und wenn du auf der Couch schläfst, verschlimmert sich deine Arthritis. Bitte sei doch vernünftig.“
„Lassen Sie sich von mir helfen, Lena. Ich tue es gern. Und ich freue mich über Ihre Gesellschaft. Rafe kann Ihnen bestätigen, dass ich mich manchmal wie in einem goldenen Käfig fühle. Wir beide können zusammen die Annehmlichkeiten des Hotels nutzen, das tut auch mir gut.“
Lena seufzte. „Meinetwegen können wir es für eine Nacht probieren. Ich bin ja sowieso überstimmt.“
„Sie müssen das Gelenk mindestens zwei, drei Tage schonen, Mrs. Balthazar“, erinnerte der Arzt sie.
„Bis dahin ist Julie zurück. Vorläufig bleibe ich bei Ihnen, Gabby. Aber ich habe nichts dabei.“ Lena lächelte. „Ich glaube nicht, dass ich in eines Ihrer Nachthemden passe.“
„Wir fahren kurz zu Ihnen, und Sie sagen mir, was Sie brauchen. Ich hole es. Oder möchten Sie lieber, dass Rafe es tut?“
„Sie finden sicher schneller, was ich will.“
„Danke, Mom“, sagte Rafe trocken. „Du traust mir überhaupt nichts zu.“
„Manchmal denke ich, du bist farbenblind. Gabby muss bestimmt nicht lange suchen.“
So war es dann auch. Außerdem rief sie im Hotel an, und als sie dort eintrafen, stand ein Rollstuhl bereit.
Lena hatte ihren kleinen Koffer auf dem Schoß, als Rafe sie zum Fahrstuhl schob. Einige Gäste schauten neugierig herüber, aber keiner schien Gabby zu erkennen. Jedenfalls sprach niemand sie an. Mit dem Pferdeschwanz, in Shorts und sommerlichen Top sah sie aus wie eine Touristin.
Im
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