Bleib bei mir, kleine Lady
Schreckensgespenster, und ich bin überzeugt davon, daß es doch noch Freude im Himmel gibt.“
„Haben Sie Ihre schlechte Tat wenigstens bereut?“ fragte Gracila.
„Es ist nicht so sehr eine Frage der Reue“, entgegnete Lord Damien, „als gähnender Langeweile.“
„O nein!“
„Wieso sind Sie so entsetzt?“ fragte Lord Damien.
„Weil das dann doch verlorene Zeit gewesen wäre. Zwölf lange Jahre! Da müssen Sie das, was Sie getan haben, doch genossen haben.“
Er grinste. „Wollen Sie damit sagen, daß Sünde Spaß macht?“ fragte er. „Gut, ich streite es nicht ab. Ich hatte zeitweise meinen Spaß daran, aber alles, mag es noch so köstlich sein, kann seinen Reiz verlieren. Und wenn dieser Zustand eingetreten ist, wird man kritisch, dann bereut man, und das, was man getan hat, frißt sich einem in die Seele.“
Lord Damien sprach mit einem solchen Abstand von den Dingen, daß Gracila plötzlich verärgert war.
„Wie können Sie so reden?“ fragte sie. „Ich glaube es Ihnen nicht. Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
„Bezogen auf was?“
„Auf das Leben“, antwortete Gracila. „Und darüber sprechen wir doch, oder nicht? Über Ihr Leben. Sie beschweren sich, daß alles, was Sie getan haben, schließlich fade und uninteressant geworden ist. Sie trauern der Vergangenheit nach und vergessen dabei, der Zukunft freudig entgegenzusehen.“
„Gibt es vielleicht einen Grund, der Zukunft freudig entgegenzusehen?“
„Allerdings“, sagte Gracila. „Es gibt so vieles zu tun, zu sehen, zu hören und zu genießen. Wie können Sie sich das durch irgend etwas oder irgend jemanden verderben lassen?“
„Sie täuschen sich“, sagte Lord Damien. „Aber daran ist doch wohl Ihre Jugend schuld. Als ich noch so jung war wie Sie, habe ich genauso gedacht, aber jetzt werde ich alt.“
„Mit einunddreißig Jahren?“ fragte Gracila in ihrem Eifer. „Sie sind ja noch nicht einmal in den »Besten Mannesjahren 4 , wie es so schön heißt. Und Sie halten sich für alt? Dann tun Sie mir leid. So – und jetzt muß ich gehen.“
Gracila wollte aufstehen, aber Lord Damien hielt sie zurück.
„Bitte, bleiben Sie noch“, sagte er. „Ich muß Ihnen noch so viel sagen. Wir müssen über noch so vieles sprechen und vielleicht sogar streiten. Wenn Sie nicht freiwillig bleiben, werde ich Sie zwingen müssen.“
„Das wäre nicht fair“, entgegnete Gracila. „Sie wissen ganz genau, daß ich nicht um Hilfe rufen und mich über Sie beschweren könnte. Nicht einmal bei Millet.“
„Und Sie könnten ihm nicht sagen“, fügte Lord Damien hinzu, „daß ich mich genau benommen habe, wie jeder es von mir erwartet.“
„Das würden Sie nie tun.“
„So? Und warum nicht?“
Gracila sah Lord Damien mit ernstem Gesicht an.
„Weil Sie sich, wie viele Menschen das tun, viel schlimmer geben, als Sie in Wirklichkeit sind. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß ich volles Vertrauen zu Ihnen habe?“
„Ja, ich glaube es“, sagte Lord Damien. „Aber es ist dumm von Ihnen.“
Gracila lächelte. „Meiner Meinung nach nicht. Ich habe mich noch nie in einem Menschen getäuscht, dem ich vertraut habe. Ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann.“
Lord Damiens Lippen wurden schmal. „Sie untergraben das einzige, dessen ich mir sicher war – meine eigene Verderbtheit.“
„Wenn Sie das als schmerzlich empfinden, dann tut es mir leid“, sagte Gracila. „Da ich mich aber gern mit Ihnen unterhalte und dieses Gespräch sehr interessant finde, bin ich lieber ehrlich und betone nochmals, daß Sie mein volles Verstrauen genießen.“
Ihre Blicke trafen sich, und sie sahen sich lange an.
„Ich hatte eben doch recht“, sagte Lord Damien schließlich wie zu sich selbst. „Sie sind nicht von dieser Welt. Einem Menschen wie Ihnen bin ich noch nie begegnet. Sie sind völlig anders.“
„Das sind Sie ebenfalls“, entgegnete Gracila. „Aber das ist noch lange kein Grund, sich zu Schlußfolgerungen hinreißen zu lassen.“
Lord Damien lachte. „Weiß der Teufel, wie Sie erzogen worden sind oder warum Sie bei Ihrem Aussehen auch noch intelligent sein müssen! Aber jetzt erzählen Sie endlich von sich selbst.“
„Sagen Sie mir erst, wie spät es ist“, entgegnete Gracila.
Lord Damien zog eine goldene Uhr aus der Westentasche.
„Zwanzig Minuten vor eins“, sagte er.
Gracila stieß einen kleinen Schrei aus.
„Ich muß gehen“, sagte sie. „Man wird sich fragen, wo ich stecke. Wenn ich zu lange
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