Bleib bei mir, kleine Lady
war von Bäumen beschattet, aber auf dem Wasser vor ihnen lag die Sonne.
Gracila setzte sich, den Rücken gerade, die Augen groß und voll unverhohlener Neugier.
Lord Damien streckte sich neben ihr aus. Seine Haltung war geschmeidig und gleichzeitig sehr männlich und athletisch.
Nicht wie ein Poet, dachte sie, oder wie ein Mann, der ein ausschweifendes Leben führte und verweichlicht war.
Lord Damien stützte den Kopf auf eine Hand.
„Erzählen Sie mir von sich“, forderte er Gracila auf.
„Genau das“, entgegnete sie mit einem Lächeln, „kann ich leider nicht tun.“
„Und warum nicht?“
„Aus bestimmten Gründen, die ich Ihnen verheimlichen muß.“
„Wollen Sie mich absichtlich ärgern?“
Gracila schüttelte den Kopf. „Es ist die Wahrheit. Ich glaube, ich muß Sie bitten, mir zu helfen.“
„Ihnen zu helfen? Aber wie denn?“
„Indem Sie mir keine Fragen stellen.“
„Wieso darf ich Ihnen keine Fragen stellen?“
„Weil ich mich vor Ihnen versteckt habe, damit Sie mir keine Fragen stellen können.“
„Aber wieso denn?“
Gracila zögerte.
„Sie brauchen diese Frage nicht zu beantworten“, sagte Lord Damien, ehe Gracila auch nur den Mund hatte aufmachen können. „Ich weiß Bescheid. Sie haben sich vor mir versteckt, weil jedem wohlerzogenen, braven Mädchen angeraten wird, sich vor mir zu verstecken.“
Wieder klang so viel Verbitterung aus seiner Stimme, daß Gracila instinktiv eine Hand ausstreckte und sie Lord Damien beruhigend auf den Arm legen wollte.
In der halben Bewegung jedoch hielt sie inne und ließ die Hand in den Schoß sinken.
„Ich habe mich nicht aus diesem Grund vor Ihnen versteckt“, sagte sie.
„Das hilft mir auch nicht weiter“, meinte Lord Damien.
„Ich weiß, aber es ist alles so schwierig.“
„Sie sind schwierig“, betonte Lord Damien. „Ich sehe Sie in einem Baum sitzen, Sie sagen, daß Sie sich vor mir versteckt haben, aber nicht aus diesem Grund.“
„Es wäre besser gewesen, wenn Sie weitergeritten wären.“
„Aber nicht halb so interessant“, fügte Lord Damien prompt hinzu.
Gracila mußte lachen.
„Ich habe Sie im ersten Moment für ein Kind gehalten“, sagte er. „Aber jetzt, wo ich Sie genau betrachten kann, sehe ich, daß Sie die schönste Frau sind, die mir je begegnet ist und – die vielleicht noch nicht ganz Frau ist.“
Wieder errötete Gracila. Sie riß sich von seinem Blick los und sah ins Wasser.
„Es gibt Hunderte von Fragen, die ich Ihnen stellen möchte“, fuhr Lord Damien fort. „Wer sind Sie? Warum sind Sie hier? Warum sind Sie so geheimnisvoll? Aber erst möchte ich Ihnen sagen, daß ich glücklich bin. Sie ansehen zu dürfen und zu träumen glaube.“
„Zu träumen?“ wiederholte Gracila.
„Ja – zu träumen, daß es hier einen Menschen gibt, der so schön, so lieblich und auf seine Weise so vollkommen ist. Ausgerechnet hier in Barons’ Hall.“
Bei der letzten Bemerkung war die Stimme Lord Damiens wieder hart geworden.
„Sie sprechen von Barons’ Hall wie von einem Schreckensort“, sagte Gracila sofort. „Dabei kann ich mir kein schöneres Fleckchen Erde vorstellen. Besonders zu dieser Jahreszeit. Ich hatte mir schon überlegt, ob Sie gerade jetzt nach Hause gekommen sind, weil Sie den Frühling hier erleben wollten.“
Lord Damien schüttelte den Kopf. „Ich bin zurückgekommen“, sagte er, „weil ich mich nach einem Zufluchtsort gesehnt habe.“
„Nach einem Zufluchtsort?“ fragte Gracila erstaunt.
„Ja, aber das ist ein Thema, über das ich nicht sprechen will. Erzählen Sie mir lieber von sich.“
„Das ist ein Thema, über das ich nicht sprechen will“, entgegnete Gracila.
„Worüber sollen wir denn dann sprechen?“ fragte Lord Damien. „Soll ich vielleicht noch einmal Lord Byron zitieren? Im ersten Gesang von Don Juan sagt er:
Wie schön sie aussieht! Gar nicht schuldbewußt, Obwohl ihr schuldig Herz im Auge blitzt.
Und jetzt frage ich Sie, warum muß sich jemand, der so jung und so schön ist, verstecken?“
Gracila antwortete nicht gleich, sondern überlegte erst einen Augenblick lang.
„Wenn ich Ihnen nur so viel erzähle“, sagte sie schließlich, „daß Ihre Neugierde befriedigt ist, versprechen Sie mir dann etwas?“
„Die meisten Versprechen sind gefährlich.“
„Dieses eine wäre nicht gefährlich für Sie wenn Sie es mir geben würden. Es wäre lediglich für mich gefährlich, wenn Sie es brechen würden.“
„Dann gebe ich es
Weitere Kostenlose Bücher