Bleib bei mir, kleine Lady
Ihnen.“
„Gut“, sagte Gracila. „Sie dürfen niemandem verraten, daß Sie mich gesehen und mit mir gesprochen haben. Das müssen Sie mir hoch und heilig versprechen.“
Lord Damien hob die Brauen. „Ich kann mit niemandem über Sie sprechen“, sagte er. „Ich lebe allein.“
„Schon, aber …“
„Meinen Sie etwa die Dienstboten?“ fiel er ihr ins Wort.
Gracila nickte.
„Soll das heißen, daß Sie das Privileg besitzen, Dinge zu wissen, die ich nicht wissen darf?“ fragte Lord Damien.
„Nicht ganz“, entgegnete Gracila. „Aber, wenn Sie Millet oder …“
„Sprechen Sie von meinem Butler?“
„Ja. Wenn Sie ihm oder seiner Schwester, Mrs. Hansell, sagen, daß Sie mich gesehen haben, dann schicken mich die beiden weg.“
„Soll das etwa heißen, daß Sie in meinem Haus wohnen? In Barons’ Hall?“
„Barons’ Hall war die einzige Möglichkeit für mich.“
„Ich bin hocherfreut und fühlte mich sehr geehrt, daß Sie mein Gast sind, möchte aber trotzdem fragen, warum Barons’ Hall die einzige Möglichkeit war.“
Während Lord Damien sprach, betrachtete er Gracilas Kleid und war sich offensichtlich sehr wohl bewußt, daß es elegant und teuer war.
Armut war nicht der Grund. Was also dann?
„Ich – ich wurde in eine sehr schwierige und peinliche Situation gebracht“, antwortete Gracila schließlich, „und aus dieser Situation mußte ich fliehen.“
„Heißt das, daß Sie weglaufen mußten?“
„Ja.“
„Kein Wunder, daß ich Sie für einen flüchtigen Meteor gehalten habe!“ sagte Lord Damien lachend. „Hat es Sie erstaunt, daß ich Byron zitiert habe?“
„Nein“, antwortete Gracila ehrlich. „In meiner Vorstellung habe ich Sie schon immer mit Lord Byron verglichen.“
„Schon immer?“ wiederholte Lord Damien. „Dann haben Sie von meiner Existenz gewußt und über mich nachgedacht. Das ist nicht fair.“
„Was ist nicht fair?“ fragte Gracila.
„Daß Sie über mich Bescheid wissen und ich nichts von Ihnen weiß – außer, daß Sie ein kleiner flüchtiger Meteor und auf die Erde herabgekommen sind, um einen völlig ahnungslosen Menschen zu verwirren.“
Gracila lachte, doch das Lachen erstarb ihr auf den Lippen. Wieder hatte Lord Damien den flüchtigen Meteor erwähnt, und wieder mußte sie daran denken, wie sie in dem Erker der Bibliothek gesessen hatte, über den Gedichtband gebeugt, und das Unglaubliche hatte mitanhören müssen.
Lord Damien hatte die Veränderung auf ihrem Gesicht bemerkt und sah sie fragend an.
„Etwas ziemlich Abscheuliches ist Ihnen widerfahren“, sagte er. „Sie haben sich von dem Schlag noch nicht erholt, und ich frage mich, was man Ihnen angetan hat.“
„Woher wissen Sie das?“ Sowohl aus ihren Augen, als auch aus ihrer Stimme sprach großes Erstaunen.
„Ihre Augen sagen alles“, entgegnete Lord Damien. „Obwohl Sie fest entschlossen sind, mir die Wahrheit zu verbergen, sehe ich, was Sie denken.“
„Was Sie eben gesagt haben, stimmt“, sagte Gracila leise. „Mir ist wirklich etwas Schlimmes widerfahren, und deshalb bin ich weggelaufen und nach Barons’ Hall gekommen.“
„Aber warum ausgerechnet nach Barons’ Hall?“
„Weil ich wußte, daß man mich hier weder vermuten noch suchen wird“, antwortete Gracila.
Einen Augenblick lang starrte Lord Damien sie nur an, dann lachte er.
„Welche Ironie des Schicksals!“ sagte er. „So wie ich Zuflucht in meinem eigenen Haus gesucht habe, so sind auch Sie aus demselben Grund hierhergekommen.“
„Zumindest habe auch ich Zuflucht gesucht“, sagte Gracila ernst. „Werden Sie Ihr Versprechen auch jetzt noch halten, wo Sie dies wissen? Wenn Sie es nicht halten, wird Barons’ Hall kein Zufluchtsort mehr für mich sein, und ich werde gehen müssen.“
„Glauben Sie denn, ich könnte etwas tun, was Sie in Schwierigkeiten bringt oder traurig macht?“ fragte Lord Damien. „Ich werde mich doch nicht gegen den Himmel versündigen.“
Gracila war plötzlich scheu. Seine Worte waren so merkwürdig.
„Sie müssen mir vertrauen“, fuhr Lord Damien fort. „Oder glauben Sie, mich dazu besser kennen zu müssen?“
„Aber wir dürfen uns nicht besser kennenlernen“, sagte Gracila voller Angst. „Es wäre falsch.“
„Warum wäre es falsch?“ fragte Lord Damien. „Noch dazu, wo niemand etwas davon erfahren würde?“
„Aber es kann ja herauskommen. Wir könnten zusammen gesehen werden.“
„Dann müssen wir eben aufpassen und dafür sorgen, daß wir
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