Bleib bei mir, kleine Lady
Drohungen machte. Und genau in diesem Augenblick hatte er gewußt, was er tun mußte und daß niemand ihn davon abhalten konnte.
Auf seiner Rückreise war es ihm klar geworden, daß alles, was er sah, Erinnerungen wachrufen würde, die überaus schmerzlich waren.
Aber er hatte plötzlich beschlossen, nicht mehr im Ausland zu leben, und hatte in Paris unter Protestgeschrei eine Party verlassen, als diese in vollem Gange war.
Angefangen hatte alles mit einer lächerlichen Bemerkung, die er in den falschen Hals bekommen hatte, weil er miserabler Laune gewesen war.
Er hatte es dem Gesichtsausdruck des Mannes angesehen, mit dem er sich in ein Streitgespräch eingelassen hatte. Noch ein weiteres Wort, und er hatte das nächste Duell auszufechten.
Nach seinem ersten Duell waren unzählige gefolgt, und jedesmal hatte er Todesqualen erlitten.
Wie erwartet war Barons’ Hall voller Erinnerungen an seinen Vater, der ihn herumkommandierte, als sei er ein Kind, das noch nicht alt genug war, um auch nur das geringste zu verstehen, an seine Mutter, an sich selbst.
Dazu kam, daß der Park, der Wald, der Blumenduft, daß ihn alles an Phenice erinnerte.
Gerechter Himmel, welch ein Narr er gewesen war, so leichtgläubig und idealistisch. Aber woher hätte er wissen sollen, daß das Ideal, das er anbetete, Lehm an den Fersen kleben hatte?
Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er sie zum erstenmal gesehen hatte.
„Ich möchte, daß du mich heute nachmittag begleitest“, hatte sein Vater eben in diesem Raum zu ihm gesagt. „Ich werde der neuen Marquise von Lynmouth meine Aufwartung machen und wünsche, daß du dabei bist. Der Marquis ist einer meiner ältesten Freunde, und es ist geradezu sträflich, daß ich seine Frau noch nicht kennengelernt habe, obwohl er nun schon seit drei Monaten mit ihr verheiratet ist.“
„Aber warum muß ich denn mitkommen?“ fragte Virgil.
Er hatte zum Angeln gehen wollen, und nun sollte er sich statt dessen in steife Kleider zwängen und in einer geschlossenen Kutsche über Land fahren. Ein gräßlicher Gedanke …
„Aus Höflichkeit“, erklärte sein Vater. „Wir brauchen ja nicht lange zu bleiben.“
Wenn seine Mutter damals noch am Leben gewesen wäre, hätte sie natürlich seinen Vater begleitet, aber so mußte er es tun. Und da er wußte, daß weitere Proteste sinnlos waren, ging er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, in sein Zimmer hinauf und zog sich um.
Der Besitz des Marquis grenzte an den seines Vaters, und es gab Abkürzungen, wie er später herausfinden sollte, die die Entfernung zwischen den beiden benachbarten Häusern erheblich verringerten.
Doch an diesem Nachmittag waren sie über die zwei Meilen lange Wageneinfahrt von Barons' Hall gefahren. Danach durch das Dorf und dann über die noch längere Wageneinfahrt von Lynmouth House.
Von einem Architekten entworfen, der offenbar mehr Wert auf Maßlosigkeit als auf Stilbewußtsein gelegt hatte, war das Haus unbeschreiblich häßlich. Bei seinem Anblick konnte sich Virgil nicht erwehren, einen Vergleich zwischen dem Haus und seinem Besitzer anzustellen – würdevoll, aber ohne jeglichen Charme.
Der Marquis war verwitwet gewesen. Als Sprecher im Hause of Lords und politische Kapazität wurde er, vor allem in Regierungskreisen, sehr geschätzt und respektiert.
Bei einem Besuch in Paris, wo er den Außenminister vertreten hatte, war er seiner jetzigen Frau begegnet.
All das interessierte Virgil nicht sonderlich.
Er hatte gewußt, daß der Marquis ein gutes Stück älter war als sein Vater, und war überzeugt davon, daß auch seine neue Frau nicht in der Lage sein werde, das Leben hier auf dem Lande, das er mittlerweile recht eintönig fand, interessanter zu machen.
Wohl hatte sich Virgil zu jenem Zeitpunkt nur in Oxford gefühlt, im Kreis seiner Kommilitonen.
Als Mitglied des Bullingdon Clubs, in dem Trinkgelage und Jagdrennen groß geschrieben wurden, war Virgil bereits in eine Anzahl von Streichen verwickelt gewesen, die von der Universität scharf kritisiert und von den Studenten als ‚toll empfunden worden waren.
Als hochintelligenter junger Mann hatte Virgil jedoch die Tatsache nicht übersehen, daß sich jeder glücklich schätzen konnte, der an dieser einmaligen Universität studieren durfte. Was man in Oxford geboten bekam, konnte von keiner anderen Universität der Welt übertroffen werden.
Die Intelligenz hatte Virgil wahrscheinlich von seinen Vorfahren väterlicherseits geerbt, wobei seine poetische
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