Bleib cool Samantha
irgendein Problem mit dem Anblick eines nackten Mannes.
»Schon okay«, sagte ich deshalb, griff nach meinem Stift und betete inbrünstig, Susan würde mich mit meinem knallroten Kopf allein lassen. »Jetzt hab ich’s ja verstanden. Es ist alles okay.«
Susan Boone wirkte aber nicht so, als würde sie mir das abnehmen. »Bist du dir sicher?«, fragte sie.
»Klar, alles paletti«, sagte ich. O Gott, ich hätte mir fast auf die Zunge gebissen. Keine Ahnung, was in mich gefahren war. Ich sehe einen nackten Typen, und alles, was mir dazu einfällt ist: Alles paletti ?
Ich weiß nicht, wie ich den Rest der Stunde überlebt habe. Ich versuchte, mich einfach darauf zu konzentrieren, das zu zeichnen, was ich sah, nicht das, was ich wusste, genau wie es mir Susan in unserer allerersten Stunde beigebracht hatte. Ich wusste zwar, dass ich einen nackten Mann zeichnete, aber es fiel mir leichter, wenn ich einfach das wiedergab, was ich sah: eine Linie hier, eine da, dort ein Schatten, hier ein anderer und so weiter. Ich unterteilte Terry räumlich in Ebenen, Flächen und Täler und schaffte es, eine relativ realistische und sogar ganz gelungene (auch wenn das jetzt nach Eigenlob klingt) Zeichnung von ihm anzufertigen.
Als Susan uns am Ende der Stunde wie üblich aufforderte, unsere Blöcke auf die Fensterbank zu stellen, damit wir unsere Zeichnungen gegenseitig beurteilen konnten, fiel mir zu meiner Erleichterung auf, dass meine weder besser noch schlechter war als die der anderen. Man merkte jedenfalls nicht, dass es die erste Zeichnung eines nackten Mannes war, die ich je gemacht hatte.
Susan bemängelte, dass es mir nicht besonders gut gelungen sei, mein Motiv auf dem Blatt zu fixieren, was in Normalsprache übersetzt ungefähr hieß, dass Terry bei mir einfach so ohne Hintergrund auf dem Blatt herumschwebte. »Die Einzelteile sind schon mal ganz gut, Sam«, sagte sie. »Aber du musst lernen, das Motiv als Ganzes zu erfassen.«
Ich nahm mir Susans Kritik aber nicht besonders zu Herzen, weil ich es ein Wunder fand, dass ich überhaupt etwas zustande gebracht hatte, wenn man bedenkt, dass ich dabei die ganze Zeit unter Extremschock stand.
Schlimm wurde es noch mal, als wir uns alle zum Gehen fertig machten und Terry plötzlich auf mich zukam und sagte: »Hey, deine Zeichnung hat mir gefallen. Sag mal, bist du nicht das Mädchen, das dem Präsidenten das Leben gerettet hat?«
Zum Glück hatte er seine Jeans inzwischen wieder angezogen, sodass ich ihm in die Augen sehen und »Ja« sagen konnte.
Er nickte. »Cool. Das habe ich mir gedacht. Das war ganz schön mutig von dir.Äh… was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht?«
»Ach, ich wollte mal eine Veränderung«, antwortete ich lässig.
»Ach so.« Terry sah aus, als würde er kurz darüber nachdenken. »Okay. Klar. Sieht super aus.«
Ich weiß aber nicht, wie viel das Kompliment wert ist, wenn man bedenkt, dass es von einem Typen kam, der sein Geld damit verdient, sich nackt vor fremde Leute zu stellen.
Als David und ich zum Wagen runtergingen – er hatte mir angeboten, mich nach Hause zu fahren –, merkte ich, dass ich wahrscheinlich doch nicht so cool mit dem Thema männliche Nacktheit umgehen konnte, wie ich es mir eingebildet hatte. Als er mich nämlich fragte: »Und? Was sagst du zu Terrys… Leistenstrang ?«, hätte ich mich fast an dem Fisherman’s verschluckt, das ich mir gerade in den Mund gesteckt hatte.
»Och, na ja«, sagte ich. »Ich habe schon größere gesehen.«
»Echt?« Er wurde blass. »Ich fand seinen schon, äh, ziemlich ausgeprägt.«
»Ja, aber nicht so lang und groß wie bei einigen anderen nackten Männern, die ich schon gesehen habe«, sagte ich und meinte die Typen aus dem New Yorker Kabelsender.
Als ich Davids fassungslosen Gesichtsausdruck sah, fragte ich mich, ob er es wusste – dass ich die Typen im Fernsehen gesehen hatte, meine ich.
Und ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob wir wirklich über Leistenstränge sprachen.
»Ich kann nur hoffen, dass wir nächstes Mal ein weibliches Aktmodell kriegen«, sagte Davids Bodyguard und starrte betrübt auf seinen Zeichenblock. »Sonst weiß ich nicht, wie ich das meinen Kollegen erklären soll.«
David und ich lachten – wobei es in meinem Fall eher ein nervöses Lachen war. Ich meine, ich stand immer noch unter Schock. Ich weiß natürlich, dass ich als Künstlerin den nackten menschlichen Körper als das sehen muss, was er ist – ein nackter Körper eben. Ein
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