Bleib ungezaehmt mein Herz
verdächtige Röte in ihre Wangen kroch, Schweißtropfen auf ihre Stirn traten, ihre Handflächen feucht wurden. Marcus mußte doch ihr Schuldbewußtsein spüren, oder? Ihr Instinkt riet ihr, Müdigkeit vorzutäuschen und sich ohne weitere Unterhaltung in ihr
Zimmer zurückzuziehen. Doch sie zwang sich, sich normal zu benehmen.
»Doch, recht angenehm, danke.« Judith ging an ihm vorbei in die Bibliothek.
Warum zum Teufel wich sie seinem Blick aus? Er konnte ihre innere Anspannung förmlich fühlen.
»Ein Glas Portwein vor dem Einschlafen?« schlug Marcus vor und griff nach der Karaffe auf der Anrichte.
»Ich glaube, ich trinke lieber Madeira.« Judith legte ihr Abendcape ab und warf es auf das Sofa, dann trat sie an das Fenster, das den Blick auf den Platz freigab. Sie zog die Vorhänge zurück und sagte betont heiter: »Es ist eine frostklare Nacht.«
»Ja«, erwiderte er, stellte ihr Glas mit Wein auf dem Tisch ab und betrachtete sie mit verwirrter Belustigung, als sie fortfuhr, aus dem Fenster zu starren. »Was gibt es denn um diese nächtliche Stunde so Interessantes auf dem Platz zu sehen?«
Judith zuckte die Achseln und drehte sich wieder zu Marcus um. »Nichts natürlich.« Sie lachte gezwungen. »Ich fühle mich nur irgendwie ruhelos.«
Marcus fand, daß ihre Ausrede nicht sehr überzeugend klang. »Warum solltest du dich ruhelos fühlen?« Er trank einen Schluck Portwein und blickte sie über den Rand seines Glases hinweg an. »Was führst du im Schilde, Luchs?«
»Im Schilde? Warum um alles in der Welt sollte ich etwas im Schilde führen?«
»Das würde ich gern von dir erfahren.« Er musterte sie weiter forschend, bis ihre Wangen sich noch dunkler färbten.
»Es war eine öde Drängelei«, sagte sie und trank hastig einen großen Schluck Wein. »Ich nehme an, deshalb fühle ich mich so unruhig.«
»Das wäre natürlich eine Erklärung«, meinte er ernst.
Judith warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Marcus sah belustigt, aber ganz und gar nicht überzeugt aus. Sie gähnte. »Ich bin müde. Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett.«
»Aber ich dachte, du fühltest dich ruhelos«, bemerkte er wenig hilfreich.
Judith kaute an einem Fingernagel. »So fühle ich mich auch... und auch wiederum nicht. Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl.«
»Vielleicht sollten wir einen Spaziergang um den Platz machen«, schlug er vor. »Ein bißchen Bewegung in der frischen Nachtluft könnte dir helfen zu entscheiden, wie genau du dich fühlst.«
»Ach, hör auf, mich zu necken, Marcus!« rief sie frustriert und überlegte verzweifelt, wie sie ihn von dieser Befragung abbringen konnte. Er spürte ihre Schuld, dessen war sie sich sicher, obwohl er niemals im Leben erraten würde, wie furchtbar sie war. Diese Aussicht war ihr jedoch kein besonderer Trost.
»Entschuldige, Liebste.« Marcus kam zu ihr und nahm ihr das Glas aus der Hand. »Laß uns nach oben gehen, und ich werde mich bemühen, meine Überredungskünste spielen zu lassen und die Wahrheit auf irgendeine andere Weise aus dir herauszubekommen.«
»Es gibt keine Wahrheit. Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst.«
»Nicht?« Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Dann laß es mich dir erklären. Ich weiß genau, entweder hast du dich heute abend bis zur Halskrause in Schwierigkeiten gestürzt - oder du planst irgend etwas.«
»Wie kannst du wissen, daß... ich meine, du kannst es nicht wissen, weil es nichts zu wissen gibt.« Sie biß sich auf die Lippen, ärgerlich auf sich selbst über diese ungeschickte Antwort.
Marcus schüttelte den Kopf. »Wenn du nicht irgendwas ausgeheckt hättest, mein Luchs, dann würdest du mir sagen, was dich so beunruhigt. Aber da du dich ja so sehr bemühst, mich vom Thema abzubringen, kann ich nur annehmen, daß etwas dahintersteckt, was mir gar nicht gefallen wird.«
Es war schrecklich. »Du sprichst mit mir wie mit einem Kind statt wie mit einer erwachsenen Frau, die gerade von einem todlangweiligen Ball zurückgekommen ist«, sagte sie, in dem Versuch, so etwas wie beleidigte Würde auszudrücken.
Marcus schüttelte den Kopf. »Es reicht nicht, Judith. Hör auf damit und sag mir ohne Umschweife, welchen Unfug du ausgeheckt hast.«
Verzweifelt suchte Judith nach irgendeiner harmlosen Ausrede, irgend etwas, was sie ihm gestehen konnte und womit er sich zufriedengeben würde. »Ach, es ist nichts. Ich bin einfach töricht«, murmelte sie schließlich. »Ich möchte nicht darüber reden.« Töricht, aus welchem
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