Bleib ungezaehmt mein Herz
damit abmühte, das feine Gewebe über ihren Kopf zu streifen. »Wo sind deine Arme?«
»Hier«, murmelte sie unter den üppigen Stoffschichten und wedelte hilfreich mit den Armen.
»Großer Gott!« brummte Marcus wieder, als er ihre Arme in die langen Ärmel schob. »Von jetzt an wirst du außerhalb dieser vier Wände nichts anderes als Limonade und Wasser trinken, ist das klar?« Er nahm Judith den Schmuck ab, bevor er die Bettdecke zurückschlug und sie unter das Laken schob. Dann stand er da und blickte kopfschüttelnd auf sie herunter.
Plötzlich flogen ihre Augen auf, und sie lachte zu ihm auf, alle Spuren von Trunkenheit aus ihrem Ausdruck verschwunden, und die seltsam verschwommenen Linien ihres Gesichts nahmen urplötzlich wieder ihre gewohnt festen Umrisse an. »Ich habe dich hereingelegt, und dabei habe ich nicht ernsthaft geglaubt, daß ich es könnte.«
Marcus sperrte verblüfft den Mund auf. »Judith, du... du Teufelin!« Er starrte sie an, als traute er dem Anschein nicht. Aber es war absolut klar, daß sie so nüchtern wie immer war.
Judith stützte sich auf einen Ellenbogen und kicherte. »Du solltest mich inzwischen gut genug kennen, um zu wissen, daß ich mich niemals betrinken würde. Es ist nur Theater, eine Schau, die Sebastian und ich perfektioniert haben. Wenn du mich allein schon überzeugend findest, dann müßtest du Sebastian und mich mal zusammen erleben.«
»Damit habt ihr sicher nicht wenige Tölpel hinters Licht geführt, wie ich annehme«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
»Nun ja, schon«, gab Judith zu. »Hin und wieder. Aber es ist vollkommen harmlos.«
»Harmlos? Du bist ein skrupelloses Frauenzimmer, und ich kann mir nicht vorstellen, wie du es fertiggebracht hast, dein Unwesen in sämtlichen Hauptstädten des Kontinents zu treiben, ohne vor Gericht zu landen.« Er wandte sich von ihr ab, vor Wut kochend. »Wie kannst du es wagen, mir einen solchen Streich zu spielen?«
Judith begriff plötzlich das ganze Ausmaß ihres Irrtums. Nachdem sie Gracemere einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, war sie in einer solchen Hochstimmung gewesen, daß sie sich zu einer Dummheit hatte hinreißen lassen. Von allen verrückten, taktlosen Einfällen... daß sie Marcus aber auch ausgerechnet mit den Tricks ihrer verwerflichen Vergangenheit hereinlegen mußte!
»Ach, Marcus, es war doch nur ein Scherz«, erwiderte Judith und sprang aus dem Bett. »Es tut mir leid, wenn du diese Neckereien nicht magst.« Sie legte begütigend eine Hand auf seinen Arm, aber er schüttelte sie unwillig ab. »Oh, bitte«, murmelte sie, schlang ihm von hinten die Arme um die Taille und lehnte ihren Kopf an seinen Rücken. »Bitte, sei nicht böse. Ich wußte wirklich nicht, daß du es nicht magst, geneckt zu werden, aber ich akzeptiere, daß es falsch und gedankenlos von mir war.«
»Es hat nichts mit Necken zu tun«, gab er zurück. »Du hast einen Narren aus mir gemacht, und ich will nicht wie einer von den Tölpeln behandelt werden, die du und dein Bruder euer ganzes Leben lang ausgenommen habt.«
»Es tut mir leid«, wiederholte Judith. »Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt, das ist mir jetzt klar, aber ich habe wirklich nichts Böses im Sinn gehabt. Bitte verzeih mir«, bat sie zerknirscht.
Die Reue in ihrer Stimme war unverkennbar. Marcus verdrängte seine Wut, als ihm aufging, daß es zwei Gründe dafür gab: sein Ärger auf sich selbst, weil er auf ihren Trick hereingefallen war, und seine Abneigung gegen alles, was an Judiths Vergangenheit erinnerte. Er hätte die Wahrheit eigentlich erkennen müssen. Judith hatte sich selbst und ihr Leben viel zu sehr unter Kontrolle, um sich dem Trunk zu ergeben... nur dem äußeren Anschein nach und auch nur dann, wenn sie einen bestimmten Zweck verfolgte.
»Behandele mich nie wieder so.«
»Das werde ich nicht, ich verspreche es.« Sie drückte ihn. »Aber du hast mir noch nicht gesagt, daß du mir verzeihst.«
»Ich verzeihe dir.«
»Und die Strafe?«
Er löste sich aus ihrer Umarmung, drehte Judith zu sich herum und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich werde mir etwas Passendes einfallen lassen, nachdem du mir erzählt hast, was du in Ranelagh zu suchen hattest.«
»Aber das habe ich dir doch schon gesagt. Ich war mit Sebastian und einigen seiner Freunde bei einem Ridotto.«
»Warum hast du vorher nichts davon erwähnt?«
»Weil ich wußte, du würdest dich spießig anstellen.« Sie lächelte ihn schelmisch an. »Und das
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