Bleib ungezaehmt mein Herz
Ehrenschuld erhalten, Sir.«
»Das habe ich allerdings. Und ich bin dankbar für die Verbesserung meiner finanziellen Verhältnisse.«
Judith biß sich auf die Unterlippe und heftete ihren Blick auf seine Schulter, entschlossen, nicht in diese funkelnden Augen zu sehen. Aber es war unmöglich, und schließlich kicherte sie, und er spürte, wie die Anspannung aus ihrem Körper wich.
»Haben Sie mir verziehen?« fragte er plötzlich ernst.
»Wofür, Mylord?«
»Ich spiele jetzt keine Spielchen, Judith. Ich habe Sie für heute morgen um Verzeihung gebeten. Und ich würde gerne wissen, ob Sie meine Entschuldigung akzeptieren.«
»Es wäre sehr kleinlich von mir, Ihnen das zu verweigern, Mylord.«
»Und Sie sind natürlich nicht kleinlich.«
Sie begegnete seinem Blick. »Nein, das bin ich nicht. Das ist nicht die Art der Davenports. Genausowenig, wie es unsere Art ist, unehrenhaft zu sein.«
»Dann ist Falschspielen also ehrenhaft?« Es war keine spielerische Frage, und Judith biß sich wieder auf die Lippen, diesmal jedoch nicht, um ihr Lachen zu verbergen.
»Das kann ich Ihnen nicht erklären.«
»Nein, ich kann mir denken, daß es sehr schwer zu erklären ist.«
»Wir machen es nicht zur Gewohnheit«, erwiderte sie spitz.
»Ich bin erleichtert, das zu hören.«
»Wenn wir am Kartentisch gewinnen, dann aufgrund unserer Erfahrung und Geschicklichkeit«, stellte Judith klar. »Was Sie gesehen haben... oder glauben, gesehen zu haben...«
»Ich habe es gesehen.«
»Wir haben nur für ein paar Runden trainiert. Um Geld ging es uns dabei nicht. Das war völlig belanglos.«
»Sie werden mir verzeihen, wenn ich von der Ehrlichkeit Ihres Spiels immer noch nicht so recht überzeugt bin.«
Judith schwieg. Dazu gab es anscheinend nichts mehr zu sagen.
Als der Marquis erneut zu sprechen begann, war der scharfe Unterton aus seiner Stimme gewichen. »Ich könnte mich jedoch dazu überwinden, Verständnis für die Gründe aufzubringen, die Sie dazu gezwungen haben, solch zweifelhafte Künste zu erlernen.«
Judith hob energisch das Kinn, und zum ersten Mal bemerkte er die Schatten in ihren Luchsaugen. »Könnten Sie das, Mylord? Das ist wirklich zu freundlich von Ihnen. Aber ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich, wenn ich Ihnen sage, daß meine Angelegenheiten niemanden etwas angehen. Ihr Verständnis ist mir völlig gleichgültig.«
Marcus schnappte wütend nach Luft. Der Griff seiner Hand um Judiths verstärkte sich, drückte ihre schlanken Finger heftig zusammen. Dann endete der Tanz, und Judith machte sich von ihm frei. Er kämpfte immer noch gegen seinen Ärger an, als er sie die Tanzfläche verlassen sah. Ihr Kleid aus duftigem, elfenbeinfarbenem Tüll über cremefarbenem Satin betonte den Glanz der kupferbraunen Haare, die in üppigen Locken bis auf ihre Schultern herabfielen. Er fragte sich, ob die Halskette und die Ohrringe aus Topasen unecht waren. Wenn dem tatsächlich so war, dann waren es bemerkenswert gute Kopien. Andererseits konnte er an der Geschicklichkeit, mit der die Davenports ihre Maskerade betrieben, nichts aussetzen.
Wer zum Teufel waren sie? Und warum erweckte Judith dieses wilde Verlangen in ihm?
Er schüttelte ungeduldig den Kopf und eilte von der Tanzfläche. Ein Bild von Martha ging ihm plötzlich durch den Kopf: sanftmütig, braunhaarig, rehäugig... Martha, die noch nicht mal einer Mücke etwas hatte antun können. Die freundliche, schlichte Martha... die perfekte Beute. Ein
Lamm in der einen Hand, einen ungezähmten Luchs in der anderen. Es mußte doch auch noch einen Mittelweg geben.
Judith zog sich in das Damenzimmer zurück. Die Vertraulichkeit von Carringtons Fragen hatte sie stärker aus der Fassung gebracht, als sie sich selbst eingestehen mochte. Seine Fragen hatten schmerzlich an der dunklen Vergangenheit gerührt, jener Vergangenheit, die nur Sebastian jemals wirklich kennen und verstehen konnte, weil er sie teilte. Judith vertraute nur ihrem Bruder. Es ging nicht anders. Ihre Geheimnisse, ihre Kümmernisse und Pläne gehörten nur ihnen beiden allein. Eine andere Lebensweise kannten sie nicht.
Sie beugte sich zum Spiegel vor und steckte eine Haarnadel fest. Der Raum war mit lebhaft plaudernden Frauen gefüllt, die ihre Kleider oder Frisuren richteten. Die Unterhaltung drehte sich einzig und allein darum, was sie tun würden, wenn die Schlacht begann.
»Ich werde nicht hierbleiben, um von einer Horde Franzosen vergewaltigt zu werden«, verkündete eine Dame,
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