Bleib ungezaehmt mein Herz
unordentliche Frau, die weder ihre Kleider noch ihre anderen Habseligkeiten, ihr Haar, die Zeit oder ihre Beziehungen unter Kontrolle zu haben schien. Sie war jedoch sehr schlagfertig und hatte einen wachen Verstand.
»Ich weiß nicht, wie ihr mir helfen könntet, es sei denn, ihr zeigt mir einen Weg, wie ich mir bis morgen früh viertausend Pfund beschaffen kann.«
»Viertausend?« Judith pfiff leise durch die Zähne, eine Angewohnheit, die sie von Sebastian übernommen hatte. »Wofür denn bloß?«
»Jeremy«, erwiderte Sally. Ihr jüngerer Bruder war ein verarmter Hansdampf in allen Gassen. »Ich mußte ihm viertausend Pfund leihen, sonst wäre er wegen seiner Schulden bei der Marineluftwaffe ins Gefängnis gewandert, und jetzt muß ich unbedingt mein Geld zurückbekommen. Aber was hätte ich anderes tun sollen?«
»Dein Mann?« schlug Cornelia vor.
Sally blickte Judith an. »Jack hätte ihm vielleicht geholfen, aber du weißt ja, wie Marcus über Jeremy denkt.«
Judith nickte. Marcus hatte kein Verständnis für die zügellosen Ausschweifungen junger Männer mit Kinderstube, aber ohne Vermögen. Er neigte zu der Ansicht, eine Karriere in der Armee wäre die beste Lösung für alle diese jungen Taugenichtse. Entweder das oder eine politische Laufbahn. Judith stimmte ihm in dieser Hinsicht durchaus zu. Die rücksichtslose und undisziplinierte Jagd nach Vergnügen war ihrem Wesen so fremd wie der Mann im Mond. Es würde Sally jedoch im Moment nicht helfen, wenn sie ihr die Meinung über ihren Bruder sagte.
»Ich schätze, Marcus würde Jack den Rat geben, Jeremy ruhig die Konsequenzen tragen zu lassen«, erwiderte Judith.
Sally nickte. »Und ich könnte es ihm, ehrlich gesagt, noch nicht mal verdenken. Jeremy wird ständig mehr Geld verlangen.«
»Und wie hast du ihn mit viertausend Pfund ausgestattet?« Isobel führte das Gespräch wieder auf den Ausgangspunkt zurück, während sie eine zweite Makrone nahm. Sie hatte eine Schwäche für Süßigkeiten, doch zu Judiths Belustigung konnte selbst Isobels beklagenswerte Vorliebe für hochprozentigen Alkohol ihre scharfe Zunge nicht mildern.
»Ich habe die Devlin-Rubine verpfändet«, erklärte Sally tonlos.
Isobel ließ die Makrone auf den Teppich fallen. »Du hast
was?«
Judith schloß einen Moment die Augen, während sie die Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache in sich aufnahm.
Sally fuhr mit ausdrucksloser Stimme fort: »Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte. Jeremy war verzweifelt. Aber Marcus will die Steine wiederhaben. Jack glaubt, sie würden gerade gereinigt.«
»Warum will Marcus sie wiederhaben?« fragte Judith.
Sally sah ihre Schwägerin an, als läge die Antwort auf der Hand. »Weil sie dir gehören, Judith.«
»Mir?«
»Du bist die Marquise von Carrington. Die Devlin-Juwelen gehören rechtmäßig dir. Marcus hatte sie mir nur geliehen ... obwohl niemand damit gerechnet hat, daß er heiraten würde, deshalb dachte ich...« Ihre Stimme erstarb.
Schweigen breitete sich aus, als ihre drei Freundinnen über die Situation nachdachten. »Was für eine verzwickte Lage«, meinte Cornelia schließlich. »Du hättest eine Kopie der Steine anfertigen lassen sollen.«
»Das habe ich«, erwiderte Sally. »Aber Carrington wird nicht auf die Kopie hereinfallen.«
»Nein«, stimmte Judith zu. Sie dachte an die Schärfe, die sowohl Marcus' Augen als auch seinen Intellekt auszeichneten. »Ich könnte vielleicht behaupten, ich hätte nichts für Rubine übrig und wäre durchaus einverstanden, wenn du sie behältst... aber, nein, das wird nicht klappen. Marcus wird sie trotzdem sehen wollen.«
Sie stand auf und wanderte nachdenklich im Zimmer auf
und ab. Es gab eine Möglichkeit, Sally zu helfen. Eine sehr riskante. Wenn Marcus dahinterkam, wäre das geringe Maß an Übereinstimmung, das sie verband, endgültig zerstört. Aber sie konnte es tun, und wenn man die Mittel hatte, einer Freundin zu helfen, dann war man auch zur Hilfe verpflichtet. Zumindest nach Judiths Ehrenkodex.
»Wann mußt du sie wieder einlösen, Sally?«
»Jack sagte, er wolle sie Marcus morgen zurückgeben.« Sally rang die Hände. »Ach, Judith, ich fühle mich so erbärmlich... als hätte ich etwas gestohlen, was dir gehört.«
»Unsinn!« Judith machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich gebe keinen Pfifferling um Rubine. Dein Bruder brauchte Hilfe, und du hast sie ihm gewährt.« Dies war für sie ein absolut zwingender Handlungsgrund. »Ich wünschte nur, du hättest es mir
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