Bleib ungezaehmt mein Herz
Schlacht zu verfolgen, Mylord?« fragte sie.
»Um Gottes willen, nein. Ich habe einen beschämenden ... oder vielleicht sollte ich sagen: schamlosen... Mangel an Interesse für militärische Angelegenheiten.«
»Selbst wenn Napoleon in derartige Angelegenheiten verwickelt ist? Das ist allerdings beschämend.« Sie lachte kokett und warf ihm einen verführerischen Blick unter dichten Wimpern hervor zu.
»Ich bin ein hoffnungsloser Fall, Madam.« Er lächelte sie an. »Ihr Gatte dagegen ist für seine Sachkenntnis auf diesem Gebiet bekannt.«
Eine Sachkenntnis, die ihn auf das Schlachtfeld zwang, dachte Judith, während sie sich an ihre Todesangst an jenem Tag erinnerte. Es schien jetzt alles so weit zurückzuliegen, so weit entfernt von dieser glitzernden Welt des Vergnügens. Kein Wunder, daß Marcus oft in Rage über die Oberflächlichkeit der vornehmen Gesellschaft geriet. Judith nickte schweigend als Antwort auf den Kommentar des Grafen.
»Ja«, fuhr er nachdenklich fort, »Ihr Gatte läßt uns alle wie Hohlköpfe aussehen. Es ist allgemein bekannt, daß er auf unsere simplen Vergnügungen herabblickt.«
Judith ahnte eine unterschwellige Abneigung in den Bemerkungen ihres Tanzpartners. Es schien, als mochte Bernard Melville Marcus Devlin nicht. »Jeder nach seinem Geschmack«, erwiderte sie diplomatisch.
Gracemeres Blick bekam etwas Stechendes. »Aber soweit ich weiß, teilen Sie, Madam, Carringtons Zorn über unsere müßigen Vergnügungen nicht.« Er wies mit einer weitausholenden Geste auf den Ballsaal.
»Wenn Sie nur wüßten, mein lieber Lord Gracemere, welchem Zweck meine müßigen Vergnügungen dienen!« dachte Judith. Doch sie lächelte nur zustimmend, klimperte kokett mit den Wimpern und beobachtete mit innerlichem Abscheu, wie in seinen blassen Augen wachsendes Interesse aufglomm.
Marcus schlenderte die Treppe hinauf, gerade in dem Moment, als seine Gastgeberin im Begriff war, ihren Posten am obersten Treppenabsatz aufzugeben, in der Annahme, zu dieser späten Stunde würden wohl keine weiteren Gäste mehr eintreffen. Lady Gray begrüßte Marcus überrascht und offensichtlich geschmeichelt und teilte ihm mit, daß sie Lady Carrington zuletzt im Ballsaal gesehen habe.
Marcus eilte in den Saal. Zuerst konnte er Judith in dem Gedränge nicht ausmachen. Dann entdeckte er sie.
Er ballte unwillkürlich die Fäuste, als er sie graziös in Bernard Melvilles Armen herumschwenken sah. Ihre Hand ruhte auf seinem Arm, und sie blickte mit lachenden Augen zu ihm auf.
Was zum Teufel tat sie mit Gracemere? Aber es war eine sinnlose Frage. Es hätte sich gar nicht verhindern lassen, daß sie ihm irgendwann einmal begegnete. Es wäre wohl auch zuviel erhofft gewesen, daß Gracemere die gesamte Saison auf dem Lande verbringen würde. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach einem neuen Hühnchen zum Rupfen, um seine Spielschulden zu begleichen.
Der Tanz endete, und Marcus beobachtete, wie der Earl seine Partnerin von der Tanzfläche führte. Judith lächelte auf eine Art und Weise, die ihren Ehemann mit den Zähnen knirschen ließ. In Brüssel hatte er ihre raffinierten Flirts mit Belustigung und mit nicht geringer Bewunderung verfolgt, und auch ihr unbekümmertes Kokettieren, das sie in London so beliebt machte, hatte ihn nicht beunruhigt. Aber bei Gracemere lag die Sache etwas anders. Marcus kämpfte gegen die alte Wut an, die sich im Laufe der Jahre kaum gelegt hatte, als er sah, wie Gracemere Judith zu den geöffneten Terrassentüren hinübergeleitete.
Er bahnte sich einen Weg durch den überfüllten Ballsaal, erwiderte Begrüßungen nur mit einem äußerst knappen Lächeln und trat dann auf die Terrasse. Es gab keinen Grund, weshalb Judith und ihr Tanzpartner nicht hätten hinausgehen sollen. Es war ein warmer Abend, und auf der Terrasse hielten sich viele Ballgäste auf. Aber die uralte Wut in seiner Seele loderte hell und mächtig, und Marcus mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um sich nicht mit Mimik und Stimme zu verraten, als er zu der Stelle eilte, wo Judith und Gracemere am Geländer lehnten, anscheinend in die Betrachtung des Mondes vertieft.
»Guten Abend, meine Liebe.«
»Marcus! Was führt dich denn hierher?« Judith wandte sich bei der leisen Begrüßung um, und einen Moment lang hätte Marcus schwören können, so etwas wie Freude in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Doch selbst wenn er sich nicht getäuscht hatte, so verschwand der Ausdruck jedenfalls sofort wieder, gefolgt von einem
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