Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
mir außerordentlich gut gefallen. Besonders am Anfang die Olympiade hat mich geradezu ergriffen. Weil dies alles schon so unwirklich und fern ist, und es war doch mal so. Waren das glückliche Zeiten. Warum können die Völker nicht immer so friedlich nebeneinander sein? Man nimmt den Krieg hin, als könnte es gar nicht mehr anders sein, und werden dabei um unsere schönsten Jahre betrogen. Vom Angriff hast Du also schon gewußt. Es ist doch schlimmer als es zum Anfang aussah. Du wirst ja auch von den Toten gelesen haben in der Zeitung. Viele sind natürlich nicht hineingekommen. Am Sonntag habe ich mit Mutti mal Verschiedenes angesehen. Köhler und Volckmar räucherte immer noch. Johannisfriedhof war gesperrt. Dort soll es ein paar Gräber getroffen haben und die Leichen wieder ans Tageslicht befördert haben. Auch das Nonnenholz ist noch wegen Blindgängern gesperrt. Es hat uns doch ganz schön mitgenommen, denn der Schreck kommt noch hinterher. Ich war gar kein Mensch mehr und war es gut, daß wir noch Bohnenkaffee hatten. Ich bin ja nicht allein für mich verantwortlich, sondern habe für Heidi zu sorgen. Jetzt ist man wieder ruhiger geworden bis zum nächsten Angriff. Daß der kommt, steht fest. Wenn einmal der Anfang gemacht ist, geht‘s auch weiter. Mit unserer schönen Hoffnung ist es also nichts. Es ist gut, daß bald Weihnachten ist und Du mal wieder bei mir bist. Nicht so, wie Du jetzt denkst, kleiner Mann. Ich kann mich schlecht ausdrücken, aber daß noch jemand ist, der stärker ist als ich, der mit mir trägt und wo ich mal meinen Kopf an Deine Schultern legen kann.
Von Gretel kam am Sonntag auch ein schöner langer Brief und will sie bald mal angerollt kommen. Sonntag früh war ich mit Heidi wieder radeln. Hoffentlich ist Schnee, daß Du mit Deiner Tochter rodeln kannst, mich würde das sehr für Dich freuen. Vielleicht ist aber auch grüne Weihnachten, daß wir alle drei radeln können. Du, geht der Sitz auch ans Herrenrad? Ich kann mir das nicht denken, da ist doch der Rahmen im Wege.
Für heute will ich mal schließen, die Sender sind noch da, also kann ich ins Bett gehen. Die Eltern sind ins Kino. Bleib uns gesund und behalt uns lieb und nimm 1000 liebe Grüße und Süße von
Deiner Lenifrau und Heidikind.
Fichte-, Stein-, Sidonien-, Elisenstraße sind auch Häuser getroffen und zusammen-gestürzt.
O.U., den 31.10 43
Meine liebe kleine Lenimaus!
Pünktlich trafen gestern Dein Kartenbrief vom 26. und Dein Brief vom 27.10. ein und danke ich Dir recht vielmals dafür. Hab mich gleich darüber gestürzt und zu lesen angefangen und mich köstlich über das amüsiert, was Du über Heidi geschrieben hast. Ich bin froh, dass nun alle Pakete und Päckchen eingetroffen sind und freue mich, dass ich Euch durch das Besorgen der Fettigkeiten etwas helfen konnte und hab es gern getan. Die 200.– M hab ich Deinem Briefe entnommen und lege heute eine Generalabrechnung bei. Unterwegs sind nun noch der Verschlag mit den Äpfeln, ein Feldpostpäckchen mit der Batterie, Füller und Drops, ferner kommen noch die Zwiebeln und 13 Pfund Äpfel, dazu schicke ich einen Carton mit enthaltend ein Brot und vier Pfund Mehl. Letzteres soll nicht viel taugen, aber auf irgendeine Art wirst Du es schon verwenden können. An Tante Anna habe ich beizeiten geschrieben, nun ist sie wohl wieder mal beruhigt, dass sie Butter bekommen hat und so kurz vor ihrem Geburtstage, das hat doch wirklich noch geklappt. Heute ist ja nun ihr Geburtstag und kamen mir so die Gedanken, was für schöne Stunden wir am Reformationsfest früher bei Schramms verlebt haben. Zur Feier des Tages habe ich heute grossartig Kaffee getrunken mit Butterbrot und darauf von Deiner Marmelade, hat prima geschmeckt und nun wird der Nachmittag benutzt, um Deine Post zu beantworten. Geschafft habe ich heute nicht viel, bin ½ 9 Uhr aufgestanden, dann den ganzen Vormittag mit Aufräumen rumgebusselt und ehe man es sich‘s versah, war es Mittag. Heute gab es Suppe, Kotelett, Salzkartoffeln und Blumenkohl, was alles gut schmeckte. Von 1 - 3 Uhr habe ich Mittagsruhe gehalten und wenn ich mit dem Schreiben fertig bin, will ich wieder mal Zither spielen und dann etwas lesen. Und dann geht es wieder zeitig in die Falle. Helenchens Geburtstag habe ich mir gut vorgemerkt und werde ich rechtzeitig schreiben. In paar Tagen schreibe ich nach Zwolle, denn am 9.11, will ich nach Soesterburg und nach Zwolle. Wir wollen hoffen, dass es klappt und ich wieder
Weitere Kostenlose Bücher