Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
haben 6000, also sind vor uns noch 10000 Nummern zu beliefern, kommen wir vielleicht zu Ostern dran. Es ist schon ein Kreuz, ich habe es jetzt manchmal tüchtig satt, was, weiß ich eigentlich selber nicht. Wenn nur der Krieg bald vorbei wäre und man wieder alles kaufen kann. Schade ist, daß Ihr nun zu Weihnachten nur Eure 60 Gramm Kaffee als Selbstversorger bekommt, aber vielleicht regelt sich auch dies bei Euch.
Heute war Mutti hier, und habe ich für Mutter, Mutti und mich meinen letzten Bohnenkaffee geopfert. Um es gut zu machen, spülte ich die Kaffeekanne heiß aus, vergaß aber dann das heiße Wasser wieder rauszuschütten und setzte meinen Filter auf die Kanne mit heißem Wasser. Natürlich hatten wir nun eine elende lange Brühe bekommen und hätte ich mich schwarz ärgern können. Nichtsdestotrotz hat uns aber trotzdem unser selbstgebackener Apfelkuchen mit Quarkguß prima geschmeckt. Ich schrieb Dir doch im letzten Brief, daß ich Dir ein kleines Päckchen mit Teeplätzchen (die ich selber backe) schicken wollte. Da Du aber jetzt eine neue Nummer hast, getraue ich mir das gar nicht, denn wenn Ihr wieder wegkommt, bekommt Ihr doch auch wieder eine neue Nummer, und dann geht es immer hin und her und zuletzt kommt es gar nicht an. Man hat doch da so seine Erfahrungen gemacht. Oder was meinst Du, soll ich es versuchen? Es ist hübsch, daß Ihr Euch einen netten Abend zu viert im Kronprinz gemacht habt, Ihr hättet das nur viel öfter tun sollen, denn ein bissel Geselligkeit ist immer nett und lenkt von dem alten Krieg ein bißchen ab. Übrigens war ich am Donnerstag auch ein wenig leichtsinnig, aber leichtsinnig war es auch nicht, denn es hat mich nicht einen roten Pfennig gekostet. Ich schrieb Dir doch schon, daß ich mit Frau Leonhard und Kolbe ins Kino gehen wollte. Als es dann soweit war brachte Frau Leonhard den Fritz Schneider aus der Küche noch mit, sie hatte für ihn irgendwo noch eine Karte erwischt. Nebenbei ist der arme Kerl tropenfähig und kommt bald weg, auch alle anderen Soldaten kommen bis zum 3. November weg. Der Film ‘Annelie’ war schauspielerisch sehr gut, aber inhaltlich hatte ich meine Ansprüche viel höher geschraubt und war deshalb nicht gar so sehr begeistert. Nach der Vorstellung lud Frau Leonhard uns noch zum Abendbrot ein, und so sind wir vier in ein Weinlokal auf der linken Seite der Pfaffendorferstraße gegangen. Es war elend teuer, aber das spielte scheinbar bei Frau Leonhard keine Rolle. Zuerst gab es Suppe, dann Schnitzel mit Blumenkohl, dann drei Flaschen Wein (Flasche á 13 M), dann drei Runden Nikolaschka und eine Runde Kroatzbeere. Aber es war wirklich sehr sehr nett und waren wir eine Familie. Frau Leonhard war unsere Mutti, Schneider Fritz und ich waren Geschwister und Frau Kolbe war Fritzen seine Frau. Haben zwischendurch noch ein Fischbrötchen gegessen, welches mir scheinbar nicht bekommen ist, denn ich habe den ganzen Freitag gekotzt wie so ein Reiher, Gift und Galle, obwohl ich gar nichts mehr im Magen hatte, immer wieder Galle. Vater hat noch nichts von mir bis dahin gewußt, aber als ich so kotzte, wußte er Bescheid. Am Freitag haben wir dann eingeweicht, und am Sonnabend habe ich bis 5 Uhr nachmittags abgekocht und die Wäsche gewaschen. Heute sind wir zu zweit runter und haben den Nachwasch gewaschen und klar gekocht. Morgen gehe ich nun nicht ins Geschäft, da wringen wir aus und hängen auf. Hoffentlich ist es schön, daß man auf dem Hof trocknen kann, da hat man die Schlepperei auf den Boden nicht, denn so sehr schleppen möchte ich jetzt nicht gern. Aber da wirst Du ja keinen Bescheid wissen, und das wird Dich sicherlich auch nicht interessieren.
Sag mal, den Film von den Ferienbildern habe ich Dir wohl nicht mit geschickt? Den habe ich versiebt, und weiß nicht wohin. Ich wollte gern noch ein paar Bilder für Mutti und Lisa nachmachen. Zu Deinem Reichtum auf dem Postsparbuch gratuliere ich Dir herzlich. Bist doch wirklich ein tüchtiger Kerl. Sag, was willst Du denn mit dem vielen Geld anfangen? Weihnachten fällt doch in diesem Jahr aus, man bekommt ja doch nichts zu kaufen und ich muß jetzt doch tüchtig sparen. Wie steht es denn nun mit Eurem Weihnachtsurlaub? Fällt der vielleicht ins Wasser? Ich hab doch jetzt oft so große Sehnsucht nach Dir. Ach, ich will lieber gar nicht davon sprechen. Jedenfalls ist es eine Zeit, in der Du von Anfang bis Ende mit dabei sein müßtest.
Nun will ich für heute aufhören, denn ich komme doch nicht mehr
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